Lesereise Malediven
kann man beim Schnorcheln oder Tauchen begegnen, wenn sie sich zur Zeit der Planktonblüte zwischen Juni und Oktober etwa in der Hanifaru Bay am östlichen Rand des Baa-Atolls aufhalten. Wenn die Monsumströmungen wechseln, ist die Konzentration von Plankton im Wasser besonders hoch und lockt zahlreiche Walhaie und viele der rund zehntausend Mantarochen, die in den Gewässern heimisch sind. Die Rochen – manchmal zwanzig, manchmal bis zu hundert – formieren sich in langen Reihen, um an der Wasseroberfläche Nahrung aufzunehmen. Lässt sich dann noch ein Walhai sehen, wird Schnorcheln nie mehr besser sein. Allerdings sind die Ausflüge in dieses im Jahr 2009 unter Schutz gestellte Gebiet mittlerweile so beliebt, dass nicht selten mehr Menschen als Rochen im Wasser sind. Zahlreiche Ausflugsboote und die Präsenz von bisweilen aufdringlichen Schnorchlern und Tauchern werden sich zur Gefahr für die Tiere entwickeln, falls der Publikumsverkehr nicht doch in nächster Zeit reglementiert wird: durch die Begrenzung von Booten und Besuchern und das Verbot, Boote bis in die Bucht zu steuern. Diese Vorschläge sind von Umweltschutzorganisationen ebenso wie von in der Nähe gelegenen Resorts vorgelegt worden. Eine Entscheidung lässt indessen auf sich warten.
Schon aus eigenem Interesse sollte man den Giganten mit Zurückhaltung begegnen. Kommt man einem Walhai zu nahe, riskiert man, ihn zum Rückzug zu bewegen. Und wer dabei von seiner Schwanzflosse getroffen wird, kann sich leicht fühlen, als wäre er gerade mit einem beschleunigenden Mittelklassewagen kollidiert.
Der Walhai steht bei unserer Hai-Safari nicht auf dem Programm. Für seine nicht vegetarischen Cousins vom Riff geben die Guides uns nur eine Verhaltensregel mit auf den Weg: Wir sollen den Haien nicht folgen, wenn wir denn welche sehen, erklären Nooma und Charlotte. Nicht weil das die Tiere verstimmen oder in Angriffslust versetzen könnte, sondern weil sie sowieso schneller sind als wir.
Nooma springt ins Wasser, um die Strömungsverhältnisse zu prüfen. Als wir ihm nach und nach folgen, ist er bereits dreißig Meter voraus und winkt aufgeregt. Wir schwimmen in seine Richtung an der Riffkante entlang. Die Aussicht ist grandios: Mindestens dreißig Meter tief fällt das Riff ab, um uns herum bewegen sich Schwärme großer Doktor- und Papageienfische. Weit unter uns zieht ein großer Schwarzspitzenriffhai vorbei. Er ignoriert die zappelnden Flossen über sich so souverän, dass sich alle Vorbehalte in nichts auflösen. Völlig unnötig war es, dass ich im Boot über Löwen und Antilopen nachdachte und mich erinnerte, dass Raubkatzen stets am Außenrand einer Herde Jagderfolg haben: wo sich jene Tiere bewegen, die nicht nur aufgrund von hohem Alter oder großer Jugend langsamer sind als die anderen, sondern auch am leichtesten zu erreichen. Doch es scheint keinen Grund zu geben, sich aus Sicherheitsgründen in der Mitte unseres Grüppchens zu halten – obwohl Nooma und Charlotte uns immer wieder auf graue Silhouetten aufmerksam machen, die wir selbst womöglich sogar übersehen würden. So farbenfroh sind die orange-weißen maledivischen Clownfische an den Seeanemonen, die Halfter- und Kaiserfische, die um uns durchs sonnenhelle Wasser schwärmen. Und so unauffällig sind die Riffhaie trotz bester Sichtverhältnisse. Wir sehen kleinere Haie und solche von respektablen Ausmaßen. Einige schwimmen weit unter uns, andere neben uns auf dem Riff, keine zwei Meter unter der Wasseroberfläche. Keiner aber macht Anstalten, sich in unsere Richtung zu begeben oder uns auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Sie nehmen uns hin als Teil des Universums – und wir sie auch. Mit dem einzigen Unterschied, dass wir doch recht beeindruckt sind von den großen Raubfischen, die majestätisch durchs Wasser gleiten, gänzlich versunken in ihrer eigenen Welt.
»Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Haie gesehen«, erklärt Nooma nach dem Schnorcheltrip im Boot. »Bei dreiundzwanzig habe ich aufgehört zu zählen.« Uns fehlte der geübte Blick: Wir mussten alle etwa bei zehn aufhören. Fast noch eindrucksvoller als der Anblick der Haie ist indessen die Erkenntnis, dass die mutmaßlichen Ungeheuer ganz anderes im Sinn haben, als sich für Schnorchler oder Schwimmer zu interessieren. Riffhaie sind tatsächlich nicht bedrohlich. Zum Fürchten ist eher der Mensch.
Der Untergang
Einmal ist es schon passiert: Am 26. Dezember 2004 versanken die Malediven im Meer
Sanjiv tippt auf das
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