Lesereise Nordfriesische Inseln
an der Kasse ist gebürtiger Badenser, auf der Insel bekannt wie ein bunter Hund. Wogen des Lebens spülten den gelernten Konditor in die Amrumer Dünenwelt. Erst jobbte er als Strandkorbvermieter. Dann im Amt Amrum als Mädchen für alles. Lange schon ist er nun »Leuchtturmwärter«. Der Braungebrannte mit weißgrauem Schnauzer hat die Besucherströme fest im Griff. Und immer einen Schnack auf Lager, wie es sich an der Küste gehört, zum Beispiel, als auch eine alte Dame nach einer Abendkarte fragt und er verschmitzt zurückfragt: »Darfst du denn so spät überhaupt noch raus?« Original Inselsound.
Die Schlange vor der Leuchtturmkasse reicht wie immer in der Hochsaison bis zu den Fahrradständern am Parkplatz vorm ehemaligen Leuchtturmwärterhaus. Eltern mit kleinen Kindern. Leute mit bombastischen Fotoausrüstungen. Tagesausflügler von der Nachbarinsel Föhr. Und Stammgäste, für die es Ehrensache ist: Jahr für Jahr die zweihundertsiebenundneunzig Granitstufen der Wendeltreppe hochzusteigen, um von der Galerie des Leuchtturms unter der roten Laterne, dem Blick der Möwen, über das Halligmeer und die Weite der Amrumer Dünen zu schauen. An der Kasse werden neben Eintrittskarten Streichholzschachteln im schlanken Leuchtturmformat verkauft, außerdem Aufkleber, Postkarten, Becher und Plakate mit Ansichten vom Amrumer Leuchtturm sowie Leuchtturm-Miniaturausgaben als Staubfänger für das heimische Sideboard. Alles indes nicht der übliche nautische Kitsch. Amrums Leuchtturmvermarkter beweisen Stil und Geschick. Ist ja schließlich auch nicht irgendein Leuchtturm. Sondern: mit sechsundsechzig Metern Feuerhöhe über dem mittleren Tidehochwasser der höchste weit und breit und der erste deutsche Leuchtturmbau in Nordfriesland.
Gehäufte Schiffsunglücke in den Seegatten zwischen den gefährlichen Sanden vor Amrum hatten Mitte des 19. Jahrhunderts die Einsicht geschärft, dass die nordfriesische Küste dringend ein Leuchtfeuer braucht. Nur auf Helgoland, indes zweiunddreißig Seemeilen von Amrum entfernt, spendete damals eine Meeresleuchte Orientierung suchenden Seemännern Licht. Ansonsten war es über der Nordsee zappenduster. Nirgendwo ein Blinken, nur Meeresrauschen, Wogen, Sturmgeheul und Wind. Auf Sylt, wie Amrum damals dänische Enklave, ließ König Frederik VII . schließlich erste Leuchttürme bauen. In Kampen und auf dem Lister Ellenbogen. Eine goldene Krone über dem Signum des Dänenkönigs glänzt noch heute am Fuße des »Alten vom Roten Kliff«, der 1856 aus gelben Klinkern von der Insel Bornholm errichtet worden ist. Ein knappes Jahrhundert später wurde der Kampener Leuchtturm sandweiß herausgeputzt, eine waagerechte breite schwarze Schärpe ziert seine Mitte – stylisch und elegant. »Christian« dachte sich Heinz Klevenow vom Thalia Theater in Hamburg als Spitznamen für den Kampener Leuchtturm aus. Warum? Für den Schauspieler mit der sonoren Stimme hießen so schlicht alle Dänenkönige. Na, denn. Das hat sich in Kampen durchgesetzt.
Die Sylter Zwillingsleuchttürme am Nordzipfel der Insel von 1857 nehmen sich hinsichtlich ihrer Größe vergleichsweise bescheiden aus. Stattdessen genießen sie das Privileg, die ältesten noch in Betrieb befindlichen Feuer Deutschlands zu sein, und die ersten aus Gusseisen hergestellten. Leuchtturmwärter vom wolkenweißen Leuchtturm List West war eine Weile der Vater des Helgoländer Leuchtturmwärters Wilhelm Krüß, verwandt mit dem Helgoländer Kinderbuchautor und Sprachzauberer James Krüss, dessen Leuchtturmgeschichten von den Hummerklippen erfolgreich um die Welt segelten. Krüß und Krüss und noch dazu Krühs sind typische Helgoländer Namen, zu finden vom Düneninspektor bis zum Brückenkapitän. Womit wir (mit leichtem Rückenwind) bei einem anderen Thema in Sachen Felseninsel angelangt wären, das uns wieder zum Amrumer Leuchtturm zurückführt:
Im Frühjahr 1864 gingen vor Helgoland preußische Kanonenboote im Schlepptau der österreichischen Fregatten »Schwarzenberg« und »Radetzky« auf die Dänen los, weil sich diese ein Jahr zuvor Schleswig einverleibt hatten. Das Gemetzel ging als Deutsch-Dänischer Krieg in die Geschichte ein, wunderbar dargestellt von Theodor Fontane. Als Quotenbringer würde es heute zur Primetime mit voller HD -Auflösung in unsere Wohnzimmer flimmern, samt anschließendem Talk bei Plasberg, Illner, Will – ein Witz gegen den Bildreichtum Fontane’scher Lektüre, auch wenn vierhundertzwölf Seiten durchaus eine
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