Lesereise Nordseekueste
meisten auch nur zu Besuch sind. Der Knutt zum Beispiel: Auf seinem Weg von der Arktis nach Afrika hat er bereits rund ein Drittel seines Körpergewichts eingebüßt. Nun futtert er sich auf Memmert ein kleines Polster für die Weiterreise an. »Das Wattenmeer ist ja wie ein Tischleindeckdich für diese Vogelarten.« Friedlich geht es zu, weil jede Art, auch dank unterschiedlicher Schnabellänge, ihre spezielle Nahrung findet. Das hat die Natur ganz prima organisiert. Und stören kann hier eigentlich wirklich nur der Mensch.
»Die härteste Männer- WG der Welt …«
Ein Besuch an Bord des größten Seenotkreuzers in der Nordsee
Warm und trocken sitzt Jörg Rabe auf der Brücke der »Hermann Marwede«, links die Silhouette von Helgoland, rechts die offene Nordsee. Und vor sich Seekarte, Radargerät und Echolot – was man eben so braucht als Schiffsführer. Kein schlechter Arbeitsplatz, könnte man meinen. Nur dass es manchmal sehr unruhig wird. Und das urplötzlich. Denn Rabe ist Vormann auf dem größten Kreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ( DG z RS ). Er und seine Mannschaft sind in ständiger Alarmbereitschaft.
Die »Hermann Marwede« ist das Flaggschiff der DG z RS , sechsundvierzig Meter lang und über zehn Meter breit. Seit September 2003 liegt sie unübersehbar im Südhafen von Helgoland. Vieles auf diesem Schiff ist ungewöhnlich. Allein in der Messe: die Stühle angekettet, der Abfalleimer ebenfalls, und auch die Eierbecher klemmen fest in einer Halterung. Damit nichts ins Rutschen kommt, wenn sie bei stürmischer See raus müssen. Wobei schon jetzt klar ist: Heute wird es wohl eher ruhig bleiben.
Die Mannschaft hat sich auf einen Kaffee unter Deck versammelt. Dass jemand sie als »härteste Männer- WG der Welt« bezeichnet hat, löst bei den sechsen nur Heiterkeit aus. Sie sind eher Praktiker, die um ihr Tun nicht viel Aufhebens machen. Morgens um halb acht, beim Frühstück, haben sie die Aufgaben verteilt. Karl-Heinz Bruhns, der technische Leiter, sorgt wie immer dafür, dass die Propeller mit ihren neuntausendzweihundertfünfzig PS bei Bedarf ihre volle Leistung bringen und der Maschinenraum tipptopp ist. Ingo Henser wird das Deck schrubben, Stefan Jürgensen die Reparaturen ausführen. Dominik Holtmeier, an Bord nur »Schwester Else« genannt, hält im Hospital alles einsatzbereit. Und Jörg Rabe, der meist ein wenig schelmisch aus seinem roten Overall lugt, wird den Überblick behalten.
Es ist also wieder einer dieser Tage, an denen die Stimmung an Bord ganz maßgeblich von Jens Petersen abhängt. Denn Petersen ist Koch und Maschinist in Personalunion. Seit dreißig Jahren arbeitet er für die DG z RS , er ist der Dienstälteste an Bord. Nun steht er in seiner Mini-Einbauküche und bereitet das Mittagessen zu. »Pflegeleicht« sind die Kollegen, meint der Smutje, mit Labskaus zum Beispiel macht er nicht viel falsch. »Und dazu vielleicht noch ein Pudding, bei guter Führung.«
Insgesamt fünfzehn Nautiker und Techniker sorgen in Zwei-Wochen-Schichten dafür, dass das Schiff rund um die Uhr einsatzbereit ist. Sie kommen aus Kiel, Aurich, Köln oder Suhl in Thüringen. Alle waren sie vorher auf kleiner oder großer Fahrt, also vier Monate oder länger von zu Hause weg. Da sind vierzehn Tage Dienst am Stück geradezu familienfreundlich. Dennoch: Vierzehn Tage immer die gleichen Gesichter, das erfordert einen besonderen Menschenschlag. Einen, der nicht nachtragend ist, wenn der Ton mal etwas rauer wird, meint Karl-Heinz Bruhns. Der erste Maschinist, der früher einundzwanzig Jahre lang auf einem Bohrinselversorger durch den Persischen Golf geschippert ist, ist so ein Typ Seebär, der schon mal richtig brummen kann.
Wenn sie in der Messe zusammenhocken, dann hängen sie mit einem Ohr am Funkgerät, das im Hintergrund schnarrt. »Es gibt bestimmte Wörter, da achtet man drauf«, sagt Bruhns. »Mayday« zum Beispiel, der internationale Notruf. Oder wenn sich MRCC meldet, also die Seenotleitung in Bremen. In der Hansestadt an der Weser werden die Einsätze der Rettungsschiffe koordiniert. »Bei Alarm wird nicht groß geredet«, meint Rabe. »Dann wird kurz und knapp gesagt, wo das Problem ist, dazu Name und Position des Schiffes, und dann fährt man los.«
Im Schnitt einmal pro Woche müssen sie raus. Das Gros der Einsätze erfolgt bei ruhiger Wetterlage, vor allem im Sommer. Dann nehmen sie Freizeitkapitäne an die Leine, weil der Motor nicht mehr will oder der Mast
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