Lesereise Nordseekueste
runtergekommen ist. Oder sie werden angefordert, weil auf einem Kreuzfahrtschiff ein Passagier einen Herzinfarkt erlitten hat. »Wir sind ja so etwas wie ein Krankenwagen zur See«, sagt Bruhns. Und natürlich helfen sie auch, wenn sich das Netz eines Fischers in der Schiffsschraube verheddert hat.
Ein Einsatz bei sturmgepeitschter See – das ist eher die Ausnahme. Doch sie kommt, mitunter nach wochenlanger Ruhe. Und man spürt die Achtung vor der Natur, wenn Petersen zum Beispiel von einem Orkantief erzählt, das mitten durch die Deutsche Bucht tobte und ihnen über zehn Meter Seegang vor der Tür bescherte. Oder damals, als mit der »Alfred Krupp« ein anderes DG z RS -Schiff vor Borkum verunglückte, »da haben auch wir schräg auf der See gelegen«, erinnert sich Bruhns. »Wenn alle Maschinen stehenbleiben und Wasser ins Schiff läuft – das ist schon aufregend.«
Aber Angst? Nein, sagt Rabe, das nicht. »Eher Respekt vor der See.« Wichtig ist das Vertrauen zum Gerät, meint Bruhns. »Dass wir uns selber sichern, bevor wir helfen.« Dafür haben sie spezielle Rettungswesten, an denen sich ruckzuck eine Leine einhaken lässt. Das Wichtigste ist eben immer noch der Mensch. Denn sie sind es ja, die in Sekundenbruchteilen Risiken abschätzen müssen, die keine Fehler machen dürfen und dabei immer hoffen, dass ihnen nicht das widerfährt, was der »Adolph Bermpohl« widerfahren ist. Der im Helgoländer Hafen stationierte Seenotkreuzer kehrte am 23. Februar 1967 von einer Bergungsfahrt nicht zurück. Ein holländischer Fischkutter hatte ihn zu Hilfe gerufen, doch der Orkan, der an diesem Tag über die Nordsee fegte, war stärker als alles bislang Dagewesene. Kreuzer und Beiboot wurden nördlich von Helgoland vermutlich von einer Grundsee erfasst – dabei türmen sich die Wellen zu einer riesigen, fast senkrechten Wasserwand auf – und unter Wasser gedrückt. Die vier Seenotretter und die drei holländischen Havaristen blieben auf See. Und mit ihnen an diesem Tag über siebzig weitere Seeleute auf der gesamten Nordsee.
Um ihren Arbeitsplatz muss sich die Crew eigentlich keine Sorgen machen. Denn zum einen verändert sich die Großwetterlage, man merkt, »dass manchmal in relativ kurzer Zeit mehrere Tiefdruckgebiete hintereinander durchziehen, mit sehr viel Wind drin«, sagt Rabe. Zum anderen prophezeien Fachleute ein steigendes Verkehrsaufkommen, sowohl was die Zahl der Schiffe als auch die der beförderten Personen angeht. Zuwächse werden in allen Bereichen erwartet, in Seetouristik, Handelsschifffahrt und Wassersport. Auch die Gefahrguttransporte dürften eher noch zunehmen. Der Jade-Weser-Port, der vor Wilhelmshaven gebaut wird, tut ein Übriges.
Über vierhundert Menschen könnten Rabe und seine Kollegen im Falle eines Falles an Bord nehmen, also so ziemlich alle Passagiere eines Katamarans, der auf dem Weg nach Helgoland Schiffbruch erleidet. Zum Glück sind die deutschen Küsten in den vergangenen Jahren von schweren Unglücken verschont geblieben. Entsprechend nüchtern lesen sich die Einsatz-Statistiken der »Hermann Marwede«. Jedes Jahr gibt es ein paar Dutzend Fälle, in denen sie Menschen »aus drohenden Gefahrensituationen« befreien. Das schon, aber sonst? Unspektakulärer Alltag. Routine. Meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Was keine Statistik erfasst: Für den Fischer auf seinem Kutter und den Segler auf seiner Jacht sind die Seenotretter so etwas wie die letzte Rückversicherung gegen die Unwägbarkeiten von Natur und Technik. Man ist da draußen, wenn es hart auf hart kommt, eben doch nicht allein.
Geheimrezept
Das kultige Künstlerdorf am Jadebusen
Eine Gruppe von Kunstliebhabern, vierzehn Frauen und ein Mann, hat sich auf dem Deich von Dangast um eine Schautafel versammelt. Der Blick der Kunstfreunde wandert hin und her, zwischen Schautafel und Dangaster Strandpromenade. Ja, doch, die Perspektive stimmt – an dieser Stelle muss der Maler Franz Radziwill seine Staffelei aufgebaut haben, hier schuf er den »Strand von Dangast mit Flugboot«. Nur der Himmel ist ihm arg dunkel geraten. Davor leuchtend hell das Flugzeug, ein Bote des Unheils und immer wiederkehrendes Motiv des Künstlers. Seit seiner Kindheit ließ ihn die Fliegerei nicht los, sagt Tina Reutter. Die Kulturpädagogin führt ihre Gruppe durch den Ort. Vorher haben sie das Werk des Meisters bereits im Original studiert, im Prinzenpalais in Oldenburg, nun gucken sie, was man davon am Schauplatz der Entstehung noch
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