Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
Landschaft den Zauber intakter Natur – oder besaß ihn zumindest so lange, bis hier die atomare Wiederaufbereitungsanlage gleichen Namens entstand, in der zeitweise der größte Teil deutscher Atomabfälle entsorgt wurde.
Sieben erfüllte und produktive Jahre sollte Prévert in Omonville-la-Petite verbringen, bevor er auf dem kleinen Kirchhof, nur einen Steinwurf von seinem Haus entfernt, im April 1977 seine letzte Ruhe fand. Weil es in dieser windgepeitschten Landschaft nur wenige Bäume gibt, steht auf jeder Weide ein Kratzstein für die Kühe. Auch Préverts Grabstein ist ein solcher Kratzstein und zeugt von seiner tiefen Verwurzelung im Cap. In La Hague ist die Normandie nur in Gärten eine Apfelbaumidylle. Und auch Fachwerkhäuser sucht man hier vergeblich. Die Häuser sind so solide wie möglich gebaut: aus Stein.
Bis er das Haus in Omonville-la-Petite kaufte, logierte Prévert während seiner Reisen in den Nordwesten der Normandie im Hôtel l’Erguillère. Nun folgten auch die Freunde Jacques und Janine aufs Land: die Maler Max Ernst und Pablo Picasso etwa. Ein anderer wohnte bereits in der Nachbarschaft: Alexandre Trauner, ein 1906 in Ungarn geborener jüdischer Szenenbildner, der 1929 nach Paris ging. Ab 1932 verband die beiden eine enge, lebenslange Freundschaft. Während der deutschen Besatzung versteckte Prévert Trauner in Südfrankreich vor den Nazis. Zwanzig Jahre lang arbeiteten die beiden später gemeinsam an Filmen, darunter »Die Kinder des Olymp«, für den Prévert das Drehbuch geschrieben hatte. 1960 erhielt Trauner für sein Szenenbild des Billy Wilder-Films »Das Apartment« den Oscar, blieb weitere vierzehn Jahre in Hollywood und war für Klassiker wie »Das Mädchen Irma La Douce« und »Der Mann, der König sein wollte« tätig. 1993 starb er; sein Grab liegt auf dem Friedhof des Sprengels Omonville-la-Petite neben dem seines engsten Freundes.
Prévert gehörte zu den seltenen Künstlern, die es verstanden, aus einer lyrischen Begabung eine einträgliche Beschäftigung zu machen. Denn er formulierte seine Gedanken mit einer Klarheit, die sie einem breiten Publikum zugänglich machte, ohne dass er sich in Banalität verlor. Viele seiner Gedichte wurden – wie »Les Feuilles Mortes«, das auf englisch unter dem Titel »Autumn Leaves« zu Ruhm kam – zu unsterblichen Chansons, interpretiert von Yves Montand, Juliette Gréco und anderen Größen. Hinzu kam mit dem Film eine Branche, in der Kreativität insbesondere im Erfolgsfall ausgezeichnet bezahlt wird. Zu Préverts bekanntesten Drehbüchern zählt neben »Die Kinder des Olymp« »Der Glöckner von Notre-Dame«. Der Gedichtband »Paroles« machte ihn 1946 zum ebenso anerkannten wie verkaufsstarken Dichter. Ob er Kinderbücher schrieb oder Texte zu den Bildern der Tierfotografin Ylla verfasste – der Erfolg blieb Prévert treu.
Herzstück des Hauses, das seit 1995 ein Museum ist, ist die Blaue Bibliothek im Dachgeschoss. Alles ist hier erhalten wie zu des Dichters Zeiten. Mit den Holzdielen, einem großen steinernen Kamin, den blauen Sofas, einem blauen und einem braunen Bücherschrank sowie dem langen Tapeziertisch, an dem Prévert Collagen klebte, ist dieses Atelier ein Raum, der den Eindruck vermittelt, in einem solchem Ambiente stelle sich die Kreativität ganz automatisch ein. Unter einem Dachbalken schwebt ein Engel. Prévert verbrachte hier einen Großteil seiner Zeit und schlief sogar im Atelier, als es ihm zunehmend schwerer fiel, sich im Haus zu bewegen. Einige Original-Collagen sind im kleinen Nebenzimmer aufbewahrt, das früher das Gästezimmer der Préverts war.
Mit Collagen beschäftigte sich Jacques Prévert seit den späten vierziger Jahren. Nach einem schweren Sturz aus einer ungesicherten Fenstertür lag er im Koma. Als er das Bewusstsein wiedererlangte, blieb er noch lange bettlägerig. Im Liegen konnte er nicht gut schreiben, wohl aber kleben. Er suchte sich sein Material aus Magazinen und Katalogen, nach seiner Genesung auch auf dem Flohmarkt, zusammen und schuf surrealistisch angehauchte Bilder, deren Anziehungskraft nicht unter der Zeit gelitten hat. Viele Collagen verschickte Prévert als Karten. Sie sind heute in alle Winde verstreut. Hundert Collagen überließ Janine nach dem Tod ihres Mannes der Französischen Nationalbibliothek.
Das Schlafzimmer ist Préverts Schriften gewidmet, getippten und von Hand geschriebenen. Seine Notizen beweisen, dass der Erfolg ihm nur scheinbar mühelos zuflog: er
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