Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados

blieb.
    1867 wurde die Promenade angelegt; neunhundertfünfundzwanzig Meter misst sie. Die historische Fischhalle aus dem Jahr 1937 – die dritte an dieser Stelle – fiel im Jahr 2006 einem Brand zum Opfer, doch wurde sie originalgetreu wieder aufgebaut. Zwischen Fischerhafen und Strand sind weniger exklusive Boutiquen als im Nachbarort zu finden. Was man für den Strandurlaub braucht, gibt es im Kaufhaus Monoprix am Hafen: Espadrilles, Badeanzug, Pareo, ein Strandkleid mit maritimen Streifen.
    Ohnehin laufen auch die illustren Gäste in Trouville eher hemdsärmelig umher. Man sieht sie an den Ständen der Fischhalle am Hafen Fisch und Meeresfrüchte fürs Abendessen einkaufen. Gérard Depardieu, der eine schöne alte Villa ein Stück außerhalb des Zentrums besitzt, lehnt gelegentlich an der Theke einer Bar. Trouville mischt die Leichtigkeit des Sommers mit der Schwerkraft gelebten Lebens. Und so wird vor dieser schönen Kulisse aus einer Laune schon mal eine unauflösliche Bindung und aus einem Sommerflirt eine Liebe fürs Leben.
    Marguerite Duras (1914–1996), die Autorin des Welterfolgs »Der Liebhaber«, erkor sich das Städtchen mit dem schönen Fischerhafen nach begeisternden Besuchen zur Heimat. Duras kaufte sich 1963 das Appartement 105 des ehemaligen Grand Hôtels »Les Roches Noires«, das vier Jahre zuvor zu einem feudalen Wohnhaus umgestaltet worden war. Ein Gemälde Claude Monets zeigt das Hotel fünf Jahre nach seiner Eröffnung 1865; allerdings ist das Bild nicht in der Normandie zu sehen, sondern es hängt im Musée d’Orsay in Paris.
    Marguerite Duras gefiel die Nähe ihrer neuen Wohnung zum Meer, und so wurde aus gelegentlichen Ausflügen aus Paris bald eine Dauerlösung. Sie sollte den Rest ihres Lebens in Trouville verbringen. Nach Jahren zurückgezogener Arbeit nahm das Leben der Autorin eine überraschende Wende, als sie in Caen einen jungen Studenten kennenlernte. Der vierundvierzig Jahre jüngere Yann Andréa Steiner wurde ihr Lebensgefährte, mit dem die Sechsundsechzigjährige auch im an die Extravaganzen prominenter Badegäste gewöhnten Trouville für einiges Aufsehen sorgte. Nicht nur wegen des Altersunterschieds, sondern weil das nur scheinbar ungleiche Paar unter anderem ein allzu ausgeprägter und oftmals öffentlich ausgelebter Hang zum Alkohol verband.
    Schon der blutjunge Gustave Flaubert war hier den Reizen einer älteren Frau erlegen. Als Fünfzehnjähriger verbrachte er 1836 seine Sommerferien in Trouville, wo er sich in die elf Jahre ältere Élisa Schlesinger verliebte. Viele Jahre blieb sie für Flaubert eine ebenso große wie unglückliche Liebe und inspirierte ihn zu den »Erinnerungen eines Verrückten«. Außerdem sollte ihm die Urlaubsbekanntschaft dauerhaften Aufenthalt in Trouville bescheren: Eine Statue des Schriftstellers erinnert an seine Romanze und ihre Folgen für die Weltliteratur.
    Auch Marguerite Duras setzte Trouville ein literarisches Denkmal. In den »Damen der Roches Noires« notierte sie ihre Beobachtungen über ihre Nachbarinnen im einstigen Grand Hôtel. Obwohl ihre Gesundheit im Alter angeschlagen und ihre Beweglichkeit eingeschränkt war, spazierte sie mit Yann Andréa regelmäßig über die Promenade vor dem Haus und an guten Tagen auch durch die Sträßchen Trouvilles. Die Pâtisserie Charlotte Corday, in der die beiden häufig einkehrten, gibt es noch. Gerne aßen Duras und Steiner auch in der Brasserie Le Central, wo noch heute hervorragende Meeresfrüchte serviert werden.
    Ihr Stammtisch in der hinteren Ecke, an dem die beiden gerne zum weinseligen Mittagessen Platz nahmen, ist noch da. Beliebter sind aber die weniger diskreten Plätze. Sehen und Gesehenwerden ist hier eine Beschäftigung, bei der die Stunden verfliegen wie die weißen Wölkchen am Frühsommerhimmel. Schon am frühen Mittag geht es in der Brasserie geschäftig zu. Ein spritziger Weißwein wird am Tisch entkorkt, eine Platte Austern aufgetragen. Vor den Fenstern fahren schnittige Autos im Schritttempo vorbei: eigentlich auf Parkplatzsuche, prüfen Fahrer und Beifahrer intensiver noch als den Straßenrand auf Lücken die Tische vor der Brasserie auf bekannte Gesichter. Die blitzweißen Boote im Hafen glitzern in der Sonne. Ein Hauch von Saint-Tropez weht durch Trouville.

Der Himmel als Palette
Wie Giverny zum Vorort eines Teichs wurde
    An diesem Morgen liegt der wohl berühmteste Garten Frankreichs unter einem Dunstschleier. Immerhin: Auch der Andrang ist moderat. Die Gärten,