Lesereise Normandie - der Austernzüchter lädt zum Calvados
Museum, das zugleich Denk- und Mahnmal ist: Erinnerung an die Menschen, die damals ihr Leben verloren, und Aufforderung zur Versöhnung und Verständigung. Es ist eines von dreißig Museen, die sich in der Normandie mit den Geschehnissen des Disembarkment-Day beschäftigen und sie in mehreren Sprachen darstellen und aufarbeiten. Mehrere touristische »Routes du Débarquement« folgen den Spuren der Ereignisse des Sommers 1944.
Sie führen auch zu den Soldatenfriedhöfen, deren Reihen von weißen Kreuzen zeigen, wie hoch der Preis des Sieges in der Schlacht um die Normandie war: eine endlose Folge abgebrochener Biografien, zerstörter Hoffnungen, untröstlicher Eltern. Auf dem Friedhof Saint-Laurent bei Colleville-sur-Mer sind fast zehntausend amerikanische Gefallene begraben. Der »Garden of the Missing« erinnert an die Toten, die nie gefunden wurden. Auch für den Gegner wurden Ruhestätten angelegt: In La Cambe, einem von fünf deutschen Soldatenfriedhöfen in der Normandie, liegen mehr als einundzwanzigtausend deutsche Soldaten.
Dass so viele so junge Menschen starben, um dem Morden ein Ende zu machen; dass die friedliche Landschaft Schauplatz eines Blutbads wurde; dass diese Geschehnisse gerade mal ein Lebensalter zurückliegen – all das ist schwer zu ertragen. Es ist ein Moment für einen Calvados. Er wärmt den Magen, und ein wenig auch das Herz.
Ein Tag am Meer
Strand und Steilküste, Kekse und Krustentiere: Unterwegs am Cap von Cotentin
Unten am Strand sind die kleinen Umkleidekabinen nebeneinander aufgereiht. Kaum breiter als ein Kleiderschrank, mit spitzen Giebeln, sehen sie ein wenig aus wie überdimensionierte Vogelhäuser. Sie halten nicht nur die Nähe der Elemente aus, sondern sind auch so entzückend anzuschauen, dass man sich gerne eines nach Hause mitnehmen wollte. Dieser Gedanke hatte mich schon im außerordentlich schmucken Hôtel des Isles in Barneville-Plage gestreift. Dort hatte man die Strandhäuschen tatsächlich zu Kleiderschränken aus makellos weißem Holz weiterentwickelt, mit fischförmigen Öffnungen in den Türen, die die Griffe ersetzen. Doch ich ahnte, dass das Personal am Flughafen auf einen Versuch, ein solches Schränkchen aufzugeben, gewiss ungehalten reagieren würde.
Die Gedanken in sinnfreiem Raum wandern zu lassen, gehört bekanntlich zu den größten Vergnügungen des Wanderns. Am Meer sowieso. Ins Unendliche zu schauen, beruhigt allzu hastig umherflatternde Gedanken. Der Sentier des Douaniers, der Pfad der Zöllner, führt ein nicht allzu langes, dafür aber umso schöneres Stück um das Cap de Cotentin. Eine meditative Kurzstrecke also, die nur sonntags zu meiden ist. Denn dann machen sich auch die Bewohner der umliegenden Gemeinden auf in die Natur, und ihre munteren Begrüßungsrufe übertönen leicht das Geschrei der Möwen.
Vor der Küste liegt die englische Kanalinsel Jersey, etwas weiter südlich im Hinterland das Naturschutzgebiet mit einem Namen, dessen Länge seiner Fläche ebenbürtig ist: Parc naturel régional des Marais du Cotentin et du Bessin. Nördlich von hier markiert die wilde Halbinsel Cap de la Hague das Ende dieser Küste der Normandie, ganz im Süden der Mont Saint-Michel. Weil die Westküste wesentlich weiter von Paris entfernt ist als die Strände der Nordküste, erreichte der Tourismus sie erst später. Hier gibt es keine traditionsreichen Seebäder, dafür aber lange Abschnitte unberührter Küste und kleine Häfen. Dort kann man den vom Meer zurückgekehrten Fischern bei der Versorgung von Fang, Netzen und Booten zuschauen, bis es Zeit ist, ins Restaurant zu gehen und sich über die Früchte ihrer Arbeit herzumachen.
An diesem Tag wollten wir uns durch die Landschaft um Carteret treiben lassen und dabei zunächst den Zöllnerpfad erkunden. Seinen Namen verdankt er der regen Schmuggeltätigkeit zwischen französischer Küste und englischen Kanalinseln, der sich früher manches komfortable, dazu noch steuerfreie Einkommen verdankte. An der einen Seite des Weges erhebt sich Steilküste, an der anderen Seite geht es nicht minder dramatisch bergab in Richtung Meer. Der Pfad ist so schmal, dass man an einzelnen Stellen nicht ohne Grauen in die Tiefe blickt. Doch meistens ist die Aussicht erhebend: Der Himmel ist weit und hoch, in die Wiesen sind rosafarbene Blüten getupft, unten donnert das Meer an senkrecht aufragende Klippen. Auf einem Felsbrocken liegen träge ein paar Robben und lassen sich von der Gischt der Wellen besprühen. Hinter
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