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Lesereise Prag

Lesereise Prag

Titel: Lesereise Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Veitsdom
    Manchmal, in stiller Nacht, wenn sie erhaben daliegt über den Dünsten der Stadt, dann ist es, als wäre ein goldener Glanz um sie. Und kommt man ihr näher, ersteigt den Burgberg und betritt mit einsam hallendem Schritt den dritten Burghof, so sieht man tatsächlich Gold aufblitzen an ihrem südlichen Portal, dem »goldenen Tor«. Die Kathedrale des heiligen Veit trägt dort seit über sechshundert Jahren ein Mosaik, das Christus in einer Mandel sitzend als Weltenrichter zeigt, von Engeln umschwebt, von Böhmens großen Heiligen angebetet. Große Teile des Bildes sind aus goldenen Steinchen geformt.
    Auch ein ornamental verschlungenes Fenstergitter ist vergoldet, ebenso sind es Zeiger und Ziffern der Turmuhr sowie der böhmische Löwe an der Turmspitze. Das Licht, das die Lampenbatterien vom gegenüberliegenden Dach der Präsidialkanzlei auf die Kirche werfen, erzeugt also einen goldenen Schimmer. Wo würde das besser passen als gerade an diesem Bauwerk, gerade in dieser Stadt?
    Prag glänzt, der Veitsdom glänzt, und dass wir es bei ihm mit einem Kunstwerk von besonderer Schönheit und Bedeutung zu tun haben, darüber sind sich mit dem Prager Erzbischof sogar die Kommunisten einig. Aber nicht darin, wer das Gotteshaus besitzen soll. Erstaunlicherweise gehört es nämlich, und daran sind die Kommunisten schuld, nicht der Kirche – nicht mehr und noch nicht wieder und vielleicht auch überhaupt nie mehr.
    Wie immer in Prag muss man Jahrzehnte und Jahrhunderte zurückblicken, um Gegenwärtiges zu verstehen. Als 1948 in der Tschechoslowakei die Kommunisten die Macht ergriffen, da wurde die katholische Kirche brutal verfolgt. Ihre Priester wurden inhaftiert und zur Arbeit als Heizer oder Handwerker gezwungen, ihr Besitz wie der der anderen Religionsgemeinschaften großteils eingezogen. 1954 erklärte das Politbüro des Zentralkomitees der KPČ zudem den Veitsdom als Teil der Prager Burg zum Volkseigentum, und bis zum Untergang des Kommunismus im Jahr 1989 war daran nicht zu rütteln.
    Dann aber, 1992, begann das Prager Erzbistum zu prozessieren, und 1994 sprach die Richterin Libuše Fritzová vom Gericht des ersten Prager Stadtbezirks das Gotteshaus der Kirche zu. Die Berufungsinstanz hob das Urteil wieder auf, und im Jahr 2005 entschied dieselbe Richterin ein zweites Mal im selben Sinn: Die Kathedrale, der nahegelegene Pulverturm, die Neue Probstei und einige weitere Gebäude in der Vikarsgasse seien dem Domkapitel zu überstellen. Wieder kündigte die staatliche Vermögensverwaltung Berufung an, wieder ging ein Staunen und Raunen durchs Land, wieder erklärten die Kommunisten, der Dom sei doch so eng mit der Landesgeschichte verbunden, dass er nicht der Kirche alleine gehören dürfe.
    Die KP , wiewohl nach der Revolution von 1989 keineswegs geläutert, steht keineswegs allein mit dieser Position. Vielmehr denken die wichtigsten Führer der anderen politischen Parteien ebenso, ausgenommen die Christdemokraten, die aber unbedeutend sind. Konservative sind sich in diesem Punkt durchaus auch mit Sozialdemokraten einig: Der Veitsdom soll allen gehören. Das hat damit zu tun, dass mehr als die Hälfte der zehn Millionen Tschechen keiner Religionsgemeinschaft angehören und dass von weiteren rund 2,7 Millionen, die als Katholiken eingeschrieben sind, nur ein kleiner Teil auch praktiziert. Tschechien hat auch kein Konkordat mit dem Vatikan, ein Entwurf schmort schon seit 2002 im Parlament, weil umstritten ist, welche Stellung die Kirche in der Gesellschaft haben und wie viel von ihrem enteigneten Besitz ihr zurückgegeben werden soll. Im Ganzen geht es um Gebäude, Grundstücke und andere Immobilien im Wert von mehr als drei Milliarden Euro, ein anderer Teil des Eigentums wurde bereits in den vergangenen Jahren restituiert.
    Im Fall des Veitsdoms liegt eine Verschränkung des Politischen mit dem Religiösen vor, die ihresgleichen sucht, und die den Streit um seinen Besitz zu einem Paradoxon macht. Kaiser Karl IV. wollte die 1344 grundgelegte gotische Kathedrale als Dominante der Burg, die Burg als Dominante Prags und Prag als Dominante des Kaiserreichs, wie der Autor Zdeněk Mahler schreibt. In diesem Sinne wurde der Dom, der die Gruft des Nationalheiligen Wenzel und die Krönungskleinodien birgt, im Mittelalter zur Krönungskirche und zur Grablege der böhmischen Könige. Die Grabkapelle des heiligen Wenzel mit ihren Kronjuwelen ist bis heute nur mit sieben Schlüsseln zugänglich, die sieben verschiedene

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