Lesereise Prag
Staats- und Kirchenführer verwahren – eine mittelalterliche Sicherheitsmaßnahme.
Jahrhundertelang war der Bau nur zur Hälfte dessen ausgeführt, was heute zu sehen ist. Als er 1929 zu Wenzels tausendstem Todestag vollendet wurde, geschah dies wiederum im Geiste stolzer Rückbesinnung des neuen tschechoslowakischen Staates und seines Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk auf die mittelalterliche Vorgeschichte des Königreichs Böhmen. Der Dom gilt vielen Tschechen deshalb als stärkstes Wahrzeichen ihrer Staatlichkeit, zumal er mitten im Hof der Prager Burg liegt, die wiederum nicht nur ein Touristenziel der Weltspitzenklasse, sondern auch der Sitz des tschechischen Staatspräsidenten ist.
Als ein Redakteur der Zeitung Mladá Fronta Dnes dies vor ein paar Jahren dem Prager Kardinal Miloslav Vlk vorhielt, entgegnete der, die Kathedrale sei aber einst aus Mitteln der Kirche gebaut worden, die Tschechen seien damals ja Katholiken gewesen und Karl IV. in ihr doch vom Erzbischof zum König gekrönt worden. Zudem lägen in ihr nicht nur die Könige, sondern auch die Erzbischöfe begraben – weshalb der Veitsdom ein Symbol der Zusammenarbeit von Kirche und Staat sei. Lange jedoch sah diese Kooperation so aus, dass ein Priester, bevor er im Veitsdom die Messe lesen konnte, den Schlüssel bei der Burgverwaltung holen musste. Und darüber, ob und in welcher Höhe Eintritt erhoben wurde, hatte ebenfalls der Staat zu befinden.
Achtzehn Jahre währte der Rechtsstreit zwischen dem Domkapitel und der Burgverwaltung, die politisch vom Staatspräsidenten geführt wird. Man bekämpfte sich durch mehrere Instanzen, und mal war das Glück auf der einen, mal auf der anderen Seite. Zuletzt entschied im März 2009 das tschechische Oberste Gericht in Brünn gegen die katholische Kirche, dagegen legte das Domkapitel Verfassungsbeschwerde ein. Der damalige Erzbischof Kardinal Miloslav Vlk, der inzwischen pensioniert ist, drohte sogar mit der Anrufung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg. Er bemängelte, in den entscheidenden Gremien der Justiz säßen allenthalben Richter aus kommunistischer Zeit, und er blieb bis zum Ende unbeugsam.
Sein Nachfolger Dominik Duka hingegen, der im April 2010 ins Amt kam und der schon lange gute Kontakte zu Staatspräsident Václav Klaus unterhielt, zeigte sich flexibler und führte rasch eine Übereinkunft herbei. Demnach ist künftig die Burgverwaltung für den baulichen Erhalt der Kathedrale zuständig, das Domkapitel verantwortet die Nutzung. Ein Beirat soll bei Meinungsunterschieden schlichten. Die noch anhängigen juristischen Verfahren wurden beendet, damit erkannte die Kirche das Eigentumsrecht des Staates an. Erzbischof Duka wusste den Kompromiss mit einem salbungsvollen Kommentar zu loben: »Die Kathedrale erlebte stets dann eine Blüte, wenn Kirche und Staat sie gemeinsam pflegten und sie zum Vorteil beider Seiten genutzt wurde.«
Im Salto auf die Matratze
Prager Fenstersturz? Es gibt drei davon. Einer wurde am Neustädter Rathaus nachgespielt
Es gab nicht nur den einen, den berühmten, der den Dreißigjährigen Krieg auslöste, sondern eine ganze Reihe. Der Fenstersturz ist in der Prager Geschichte ein probates Mittel der politischen Konfliktlösung geworden, wenn auch ein grausames. Denn harmlos ist es ja keineswegs, von einer aufgebrachten Menge oder einem finsteren Geheimagenten durch eine Maueröffnung gezwängt und ins Freie gestoßen zu werden. Als Erste erfuhren das jene sieben Ratsherren, die sich zusammen mit ihrem Bürgermeister und einem Richter am 30. Juli des Jahres 1419 im Rathaus der Prager Neustadt aufhielten, als vor diesem gotischen Gebäude eine große Zahl lärmender Menschen mit Speeren, Spießen, Dreschflegeln und anderen Waffen erschien.
Es waren Hussiten, Anhänger des tschechischen Reformators Jan Hus, der mehr als hundert Jahre vor dem Deutschen Martin Luther die Ablassgeschäfte der katholischen Kirche und ihren weltlichen Besitz attackiert hatte und nur die Heilige Schrift als Grundlage der christlichen Lehre gelten lassen wollte. 1415 hatte er diese ketzerische Kühnheit auf dem Konzil in Konstanz mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen büßen müssen, obwohl ihm doch von Kaiser Sigismund, dem Sohn des Prager Lieblings Karls IV., freies Geleit versprochen worden war.
Ein Aufschrei der Empörung war in Böhmen die Folge. Und dann, vier Jahre später, hatten etliche seiner Prager Gefolgsleute bei einer Eucharistiefeier gemäß ihren neuen
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