Lesereise Prag
eines russischen Publizisten ein Offizier des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes NKWD in Frage. Für eine touristische Verwertung ist dieser Vorfall deshalb eher ungeeignet.
Der Spitzel im Turm
Wie der kommunistische Geheimdienst früher die Leute auf der Straße beobachtete
Immerhin, eine menschliche Regung. Der böse Mann, der hier oben saß, muss ein Fußballfan gewesen sein. Verblasste Zeitungsfotos mit Spielszenen kleben noch an einer Bretterwand, darunter hängt die Liste der Spiele der Fußballweltmeisterschaft in Mexiko 1986. Mit Tinte hat der Unbekannte darauf die Spielergebnisse eingetragen. Ansonsten notierte der Spion an seinem schmalen Schreibtisch in fünfundsiebzig Metern Höhe gewisse Dinge, die weniger harmlos waren. Wer kam aus welcher Botschaft und ging in welches Lokal? Wer traf dort unten wen auf dem Bürgersteig? Was nahm der junge Mann, es könnte ein Westler gewesen sein, gerade aus der Brieftasche, um es der wartenden Frau zu geben? Tauschte er schwarz Geld und meinte, niemand sähe ihn dabei?
Hier oben auf dem Turm saß einer, der alles beobachtete, ein Observationsfoto hängt an der Wand. Es ist heute ein Ausstellungsstück, denn in der Spitze des Glockenturms von St. Nikolaus auf der Kleinseite in Prag befindet sich seit Frühjahr 2010 ein skurriles zeitgeschichtliches Museum. In seltener Anschaulichkeit vermittelt es einen Eindruck davon, wie zu Zeiten der kommunistischen Diktatur die ausländischen Diplomaten und die einheimischen Regimegegner überwacht wurden.
Der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst (Státni Bezpečnost), im Volksmund StB genannt, unterhielt in Prag bis 1989 rund siebzig solcher Beobachtungsposten – in Amtsgebäuden ebenso wie auf Türmen oder in Hotels. Die hohe Warte der Nikolaus-Kirche blieb als Einzige unverändert erhalten, nur führt inzwischen auf dem letzten Stück des Weges statt einer Leiter eine neue Treppe hinauf. Dreihundertdrei Stufen sind es insgesamt.
Ein Student, der die graue Uniform der früheren Sicherheitspolizei trägt, empfängt die Besucher, die hier in vierzig Jahre Kommunismus eintauchen wollen. Sie bekommen neben einer kargen Büroausstattung und Informationstafeln auch technische Geräte zu sehen: Fernsprecher, Radiotransmitter, Fernrohre oder Minirecorder und Minikameras, die in Damenhandtaschen eingebaut waren. Damals waren sie der Stolz der Technischen Direktion des Innenministeriums, heute, im Zeitalter des iPhone, wirken sie seltsam ältlich.
Nicht weniger als zwölf ausländische Botschaften lagen im Umkreis von St. Nikolaus, darunter die der Bundesrepublik Deutschland, der USA und Frankreichs. Man beobachtete sie mit Kameras nicht nur vom Turm aus, sondern auch aus geheimen Räumen, die in direkter Nähe der diplomatischen Vertretungen lagen, beispielsweise in einem gegenüberliegenden Haus. In einem Hotel beim Hradschin fand man 1989 nach der Wende unterm Dach einen Raum, von dem aus die Spitzel des StB den Aufgang zur Prager Burg beobachtet hatten. Auch mehrere Maschinengewehre waren dort noch aufgebaut.
Der Posten im Kirchturm firmierte im Jargon der Geheimen unter dem Codenamen »Kajka« (Eiderente). Von seiner Existenz wussten auch die Dissidenten. Nach Auskunft der Behörde für die Aufarbeitung der früheren Geheimdienstakten trafen sich Regimegegner, wenn sie illegale Schriften tauschen wollten, hin und wieder direkt am Fuß des Glockenturms. Gerade dort reichte nämlich der Blick der Observanten aus der Höhe nicht hin.
Vorsicht, Taxi!
Auch ein verkleideter Oberbürgermeister konnte den Betrug mit überhöhten Tarifen nicht stoppen
Pavel Bém war damals zweiundvierzig, ein schlanker, sportlicher Typ, und man hätte den Prager Oberbürgermeister durchaus für einen ausländischen Touristen oder für einen Rockmusiker halten können, wenn man ihn irgendwo ins Taxi steigen sah. Noch heute wäre das so. Vor allem dann, wenn er sich zurechtmacht, sich zum Beispiel ein paar Tage lang nicht rasiert, ein Bärtchen anklebt, eine Sonnenbrille und eine Wollkappe aufsetzt, dazu eine lässige Jacke trägt. Im Februar 2006 hat er sich auf diese Weise verkleidet, und er hat sich dabei von Reportern der Zeitung Mladá Fronta Dnes begleiten und fotografieren lassen. Denn wieder einmal war er, auf Einladung der Zeitung, unterwegs als Undercover-Agent, um die Prager Taxifahrer auf die Probe zu stellen.
Den Chauffeuren der tschechischen Hauptstadt hängt ein miserabler Ruf an. Sie gelten – nicht alle, aber etliche –
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