Lesereise Prag
Kronen den verruchten Absinth serviert bekommt, pur oder als Ingredienz im Cappuccino beziehungsweise Sekt.
Was wäre dafür ein besserer Ort als das Café Slavia? Hängt hier doch beim großen Fenster zum Moldauufer hin noch immer das Gemälde von Viktor Oliva, das die berühmte »grüne Fee« in halluzinatorischer Luftigkeit auf dem Tisch eines einsamen Kaffeehaustrinkers sitzend zeigt. Also, der Absinth ist wieder da.
In Prag hat er sich als Modeerscheinung im Alltag etabliert, jedenfalls entlang der Trampelpfade des Fremdenverkehrs. Man findet ihn nicht nur im Café und im Restaurant auf der Karte, sondern auch in Lebensmittelläden und touristischen Bedarfsartikelshops. Smaragdgrün schimmert er in Flaschen verschiedenster Größe aus den Regalen. Prag ist, so formuliert es Miloš Kavka, Beamter der staatlichen Lebensmittelüberwachung, »zum Magnet für die geworden, die mal das stärkste Getränk der Welt kosten möchten«. Junge Ausländer fragen oft danach, wohl auch deshalb, weil der Kräuterfusel in Prag viel billiger zu haben ist als in Paris oder irgendeiner deutschen Szenekneipe, wo er ebenfalls seit Längerem eine stille Renaissance erlebt.
Fast ein Jahrhundert lang war die Droge verfemt und verboten, in den USA seit 1912, in Frankreich seit 1914, in Deutschland seit 1923 – zum Leidwesen vieler Künstler und Proleten. Sie suchten damals im Absinthrausch ihr Alltagselend zu vergessen oder hofften auf eine Bewusstseinserweiterung, die genialische Großtaten entfesseln sollte. Legion sind die Dichter und Maler, die die »grüne Fee« zur Muse hatten und ihr Kränze flochten, von Rimbaud, Baudelaire, Wilde und Hemingway bis zu Toulouse-Lautrec, Gauguin, Dégas, Picasso und van Gogh. Im Pariser Boheme-Viertel Montmartre trat bei einer Kommunalwahl eine Künstlergruppe an, die für den Fall des Sieges versprach, man werde Absinth aus den Wasserhähnen fließen lassen.
Größeren politischen Effekt indes machten die Gruselstorys, die über die dämonischen Wirkungen des Kultgetränks auf die Bezechten umliefen. Van Goghs desaströser Streit mit Gauguin und der Umstand, dass er sich im Suff ein Ohr abschnitt, wurden dem Absinth ebenso zugerechnet wie anderer Leute Wahnideen, psychotische Delirien, epileptische Anfälle und schwerste soziale Zerrüttung bis hin zu jenem Mann in Lausanne, der seine ganze Familie umbrachte.
Derlei Zerstörungskraft entfaltete nicht nur der Alkoholanteil, der im Absinth bis heute bis zu umwerfende siebzig Prozent beträgt, sondern vor allem der psychoaktive Wirkstoff Thujon, der aus Wermutkraut (Artemisia absinthium) gewonnen wird. Man versetzt ihn mit Kräutern, etwa Fenchel, Melisse, Ysop, Anis oder Koriander, in Tschechien mit Pfefferminze. In Tschechien, wo der Absinth wie in Portugal und Dänemark übrigens nie verboten war, hat sich auch ein eigenes Trinkritual herausgebildet, ähnlich dem französischen: Man taucht Würfelzucker in Absinth, legt ihn auf einen Löffel, zündet ihn an und lässt ihn karamelisieren – es grüßt die Feuerzangenbowle.
Das Verfahren birgt freilich das Risiko, dass der Thujonanteil, der bei der Wiederzulassung des Absinth 1998 von den EU -Behörden auf einen geringen Wert beschränkt wurde, über das Limit steigt. Dieser Anteil lag früher um ein Vielfaches höher, und oft war vor hundert Jahren wohl auch der Alkohol mit miserablem Fusel versetzt, sodass Experten wie die Kieler Psychiaterin und Oberärztin Dunja Hinze-Selch durchaus einen Unterschied zu heute seriös bereiteten Absinthgetränken feststellen.
Zudem wachen in Deutschland wie in Tschechien die Behörden, die immer wieder auch Verstöße feststellen. In Tschechien gibt es Hersteller, die Absinth mit historisch hohem Thujonanteil für teures Geld nach Russland und in andere Länder Osteuropas exportieren. Die Tschechen selber trinken meist lieber Bier. Das ist selbst gegenüber heutigem Absinth geradezu gesund.
Nachsatz
Die hier vorgelegten Texte sind in den Jahren 2005 bis 2010 als Korrespondentenberichte für die Süddeutsche Zeitung entstanden. Kein Korrespondent arbeitet für sich allein im leeren Raum, sondern in stetiger Fühlungnahme mit den zuständigen Kollegen der Zentralredaktion. Sie sind es, mit denen er seine Projekte vorab diskutiert, sie schlagen ihrerseits Themen vor, bestimmen die Länge der Beiträge, redigieren sie und heben sie ins Blatt. Am Endprodukt haben sie also ihren Anteil, und deshalb möchte ich mich bei den betreffenden Kollegen der Ressorts
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