Lesereise Prag
dadurch, dass er von sieben dieser Scheusäler, die er von Švejk erworben hatte, aufgefressen wird.
Nach Prag ist sogar eine eigene Hunderasse benannt, der Pražský Krysařík (Prager Rattler), ein kleiner Pinscher, der in der Prager Burg und an den Adelshöfen einst die Ratten und Mäuse zu jagen hatte. Die liebste aller Rassen ist er den Tschechen aber nicht, dies sind vielmehr erstaunlicherweise der Deutsche Schäferhund, der Dackel und der Yorkshire Terrier. Ob Prag tatsächlich, wie in Kreisen von Kynologen verbreitet wird, die Stadt mit den meisten Hunden in Europa ist, lässt sich schwer nachprüfen. Wer in Sofia und Bukarest die große Zahl streunender Vierbeiner gesehen hat, die dort nach der Wende von 1989, oft aus finanziellen Gründen, in die Obdachlosigkeit entlassen worden waren, mag daran Zweifel empfinden.
In Prag wären solche Härten schwer denkbar. Dort gibt es sogar im Stadtteil Bohnice einen großen Hundefriedhof. Und dort sorgt man sich bei Wechselfällen des Schicksals auch um die Psyche der Tiere. Als der sozialdemokratische Parteichef und frühere Ministerpräsident Jiří Paroubek 2007 seine Ehefrau Zuzana verließ und sich einer Jüngeren zuwandte, da gab die resolute Zuzana Paroubková bald danach bekannt, sie leide unter dieser Trennung überhaupt nicht, und Andy auch nicht. Andy war der Dackel des Paares.
Der Tscheche als Originalgenie
Ein kleines Theater und ein Museum pflegen den Kult um den geheimnisvollen Jára Cimrman
Droben auf dem Laurenziberg, wo Prag am höchsten ist, dort sitzt Jára Cimrman am tiefsten. Im Untergeschoss eines eisernen Aussichtsturms, der nicht zufällig wie ein gestauchter Pariser Eiffelturm aussieht, hat man ihn untergebracht mit seinem Lerchenlockgerät, dem Dreifachhammer und der Pilsener Fasswaschanlage. Nebenan sind die Toiletten und die Putzräume zu finden. Kein unpassender Platz für ein verkanntes Genie, das in der Weltgeschichte nur als Schemen vagabundiert und dennoch die Herzen der Tschechen entflammt. »Jára Cimrman überlebt uns alle«, hat Václav Havel auf einen Zettel geschrieben, und natürlich hängt auch dieser Zettel an der Wand im amüsanten Panoptikum auf dem Laurenziberg. Dort hält er Zwiesprache mit Fotos, Apparaten und Alltagsaccessoires, die allesamt den verwehten Charme des k. u. k. 19. Jahrhunderts an sich tragen.
Damals waren Prag und Wien in diesem Teil Europas die Zentren der Gravitation. In diesem Orbit soll sich das Leben des Jára Cimrman erfüllt haben, dessen Name die tschechische Umschrift des deutschen Zimmermann darstellt und auch genauso ausgesprochen wird. Diverse Varianten seiner gänzlich ungesicherten Biografie besagen, der Geheimnisvolle sei um 1850, vielleicht auch 1857, 1864, 1867 oder 1892 in Wien geboren, der Standesbeamte habe im Geburtsregister die Jahreszahl infolge Trunkenheit orthografisch versaut. Cimrman war demnach der Sohn des tschechischen Hosenschneiders Leopold Cimrman und der österreichischen Schauspielerin Marlen Jelinková, die sich mit einem hierorts ausgestellten Fächer durch manche Operette gefächelt haben soll. Vom Vater ist im Laurenziturm ein schlecht genähtes Sakko vorrätig, vom Sohn eine Unzahl skurriler Schöpfungen, wie sie der Münchner Komiker Karl Valentin nicht schöner hätte ersinnen können.
Jára Cimrman, so erfahren wir, hat also, bevor er womöglich 1914 in Prag oder in Liptakov im Isergebirge verschwand, unter anderem einen Gummihandreisedrucker, ein Pilzsuchermesser, eine Reisezigarettendose sowie einen Gleiskraftwagen erfunden, mit dem er als reisender Dentist zu kleinen Bahnhöfen und Zugmeldeposten eilte. Ferner sind ein Feuerwehrfahrrad, ein Riesenkerzenlöscher, eine Spielkartenmischmaschine, eine Fliegenfalle und ein Stimmstärkenprüfgerät für Opernsänger überliefert. Die Fotos, die er mit einem eigens zur Durchdringung des Nebels ausgestatteten Apparat aufnahm, sind dezidiert verschwommen, und an der Büste, die von ihm ausgestellt ist, erkennt man seine Gesichtszüge rein gar nicht.
Auch auf diversen Gruppenfotos, etwa vom Kongress der europäischen Bierbrauermechaniker, sucht man ihn unter zwölf Dutzend ernsten Herren selbstverständlich vergebens.
Jára Cimrman ist ein Phantom, eine Kopfgeburt aus jener Zeit, als das Spinnen noch Spaß machte und der graue, dumme Kommunismus nach privatistischer Erheiterung verlangte. Damals, es war 1966, gab es in Prag eine Radiosendung namens »Weinstube im Spinnennetz«, in der die Figur erstmals
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