Lesereise Prag
auftauchte. Ein Jahr später gründeten die Multitalente Zdeněk Svěrák und Ladislav Smoljak mit Freunden das Theater Jára Cimrman, das am 4. Oktober 1967 sein erstes Stück aufführte. Es hieß »Akt«.
Im Oktober 2007 wurde deshalb mit Glanz und Gloria das vierzigjährige Bestehen eines Unternehmens gefeiert, dessen Vorstellungen bis heute ständig ausverkauft sind und das schon ein halbes Jahr vor dem Jubiläum die einmillionste Schallplatte verkaufte. Einige der vierzehn produzierten Stücke haben mehr als tausend Aufführungen erlebt, und immer noch drängen sich die Menschen im Prager Stadtteil Žižkov in das anheimelnd altmodische Theater, um sich an den dadaistischen Blödeleien der Akteure zu ergötzen, die von jeher überwiegend Laienschauspieler sind.
Es wird Nonsens auf klassischer Höhe geboten, mit Fantastereien, Wortspielen und situativer Komik erzeugt. Laut Fama stammen alle Stücke aus dem Nachlass Jára Cimrmans und sind von Svěrák und Smoljak nur bearbeitet worden. Sie handeln allesamt von tapferen Tschechen. In wahren Wolkenbrüchen des Publikumsgelächters erlebt man sie bei Expeditionen zum Nordpol und zu den Menschenfressern, im Reich der Musik und im Sturzregen. Andere Abenteuer werden als Mord im Salon-Coupé, als Familiendrama oder gleich als Bühnensklerotikon angekündigt.
Die Stücke sind nach den Worten des Regisseurs und Schauspielers Ladislav Smoljak im Grunde »nicht politisch«, auch wenn die Zuschauer zu Zeiten des Kommunismus darin oft »verschiedene Anspielungen suchten«. Jedenfalls saßen, wie 2007 enthüllt wurde, Agenten des Staatssicherheitsdienstes StB im Publikum. Besonders das 1982 aufgeführte Drama »Lijavec«, das die Methoden des weiland k. u. k. Polizeistaats karikierte, war den Stasi-Schnüfflern verdächtig – wegen unverkennbarer Parallelen zum kommunistischen Repressionsapparat. Zwei Ensemblemitglieder wurden zur Stasi-Mitarbeit gepresst, auch Svěrák und Smoljak standen unter Druck und unterschrieben, wie sie heute selbstkritisch anmerken, ein denunziatorisches Pamphlet gegen die Bürgerrechtskämpfer der »Charta 77«.
Ihrer Popularität tat das keinen Abbruch, vor allem der Schauspieler und Stückeschreiber Zdeněk Svěrák ist einer der beliebtesten Tschechen überhaupt. Mit seinem Sohn Jan, einem Regisseur, brachte er 2007 einen Film über ein Rentnerleben (»Pfandflaschen«) heraus, der alle Besucherrekorde brach. 1996 gewannen die beiden mit »Kolja« sogar den Oscar. Und als 2005 in einer Fernsehshow beim Publikum der »größte Tscheche aller Zeiten« ermittelt wurde, kam Svěrák senior auf Platz 25.
Den ersten Rang erlangte – Jára Cimrman. Während sich in einem ähnlichen TV -Historienspiel die Deutschen für Konrad Adenauer und die Briten für Winston Churchill entschieden, setzten die Tschechen auf das geheimnisvolle Genie, das ihnen offenkundig aus der Seele spricht. Cimrman, der Missachtete, der vor Thomas Alva Edison die Glühbirne erfand, aber zu spät zum Patentamt kam, »verkörpert den Wunsch einer kleinen Nation, größer und berühmter zu sein und besser respektiert zu werden«, wie Ladislav Smoljak es einmal sagte.
Die Tschechen, lange dominiert von mächtigeren Nachbarn wie den Österreichern, den Deutschen und den Russen, leiden so wie Angehörige anderer kleiner Nationen still an der Missachtung. Immer ist das Bühnenlicht auf andere gerichtet, selten einmal kommt auch die besondere Eigenart eines kleinen Landes groß zur Geltung. Aber Smoljak und Svěrák stimmten darüber kein Klagelied an, sondern überzogen die gelinde Kränkung zum eigenen Trost und zur Gaudi aller anderen mit einem kräftigen Zuckerguss an Ironie. Und gerade das spricht dem Publikum offenkundig aus der Seele. Humor ist eben eine historische Ingredienz, die die Tschechen in schwieriger Lage schon des Öfteren gerettet hat. Der brave Soldat Švejk lässt grüßen.
Aber fragt man einen Tschechen, was an seinem Land das wahrhaft Tschechische sei, so wird er kaum den Namen Švejk nennen. Der Prager Hundehändler aus dem Ersten Weltkrieg, der so unübertrefflich schlitzohrig alles Kaiserlich-Königlich-Österreichische verulkt und veralbert hat, ist heute für seine nachgeborenen Landsleute ein Kommerz gewordenes Klischee, an dem sich eher die Nachbarn in Österreich und Deutschland delektieren. Die haben seinerzeit ja auch dem Autor Jaroslav Hašek mit ihrer Übersetzung zum Weltruhm verholfen. Aber wahrhaft tschechisch? Da käme doch viel eher das nur
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