Lesereise Prag
als Betrüger, die ausländischen Touristen überhöhte Preise abverlangen, was diesen wegen des Kaufkraftgefälles oft nicht einmal auffällt. Für eine Fahrt zwölf Euro hinzublättern, dünkt einem Münchner nach heimischem Maßstab nicht unbedingt viel Geld, in Prag ist dafür fast schon eine Fahrt aus der Innenstadt zum Flughafen zu haben. Ein Kilometer durfte dort 2006 laut amtlich festgelegtem Tarif fünfundzwanzig Kronen (neunzig Cent) kosten – inzwischen liegt er bei achtundzwanzig Kronen. Hinzu kamen eine Startgebühr von dreißig Kronen und fünf Kronen je Minute Wartezeit. Wer also in Prag fünf Kilometer Taxi fuhr, sollte dafür nicht viel mehr als hundertachtzig Kronen (sechs Euro) berappen.
Im echten Leben aber sammelt man seit Jahren schon andere Erfahrungen. Da gibt es einerseits natürlich die seriösen Fahrer, die sichtbar das Taxameter in Gang setzen und die Quittung ausdrucken, und sie sind sicher die Mehrzahl. Man darf sie nur nicht am Hauptbahnhof oder am Bahnhof Holešovice suchen, wenn man spät ankommt und dringend einer Fuhre fürs Gepäck bedarf. Da kommt es vor, dass ein Taxist von einer Hauptbahnhofspauschale von tausend Kronen faselt und ein anderer sechshundertachtzig Kronen verlangt für eine Fahrt, die höchstens zweihundert wert wäre.
Es gäbe weitere Beispiele. Prager Reporter haben mehrfach Selbstversuche gemacht und Betrüger bloßgestellt, mit Foto und Namen, und die frühere SPD -Bundestagsabgeordnete Cornelie Sonntag-Wolgast hat sich nach misslichen Erfahrungen bei Tschechiens Botschaft in Berlin über »mafiöses und schandhaftes Verhalten« beschwert, das »eines EU -Landes unwürdig« sei. Die Prager Stadtverwaltung schickt seit Jahren regelmäßig Kontrolleure los, darunter US -Studenten. Im Jahr 2005 gab Oberbürgermeister Pavel Bém, ein führender Mann der Konservativen Demokratischen Bürgerpartei ( ODS ), schon einmal kostümiert den ahnungslosen Touri, einen Italiener. Er zahlte mal das Doppelte, mal das Sechsfache des Erlaubten, den ertappten Fahrern wurden dafür Bußen von umgerechnet vierzehnhundert und siebentausendfünfhundert Euro aufgebrummt. Im Ganzen wurden 2005 bei tausendsechzig Stichproben in 17,9 Prozent der Fälle Delinquenten entlarvt. Daraufhin verschärfte die Stadt ihre Taxiordnung und entzog auch etliche Lizenzen, und Oberbürgermeister Bém meinte, die Situation habe sich nun wesentlich gebessert.
Der großen, als seriös geltenden Taxigenossenschaft AAA war das noch nicht genug. Mit einem Hupkonzert vor dem Rathaus untermalten zweihundert Fahrer die Forderung nach härterem Durchgreifen. »In Prag gibt es ungefähr dreitausendsiebenhundert Taxifahrer, und davon machen hundertfünfzig oder zweihundert unehrliche den anderen nur Schande«, wetterte der AAA -Geschäftsführer Jiří Kvasnička. Bald danach machte seine Firma nach dramatischem Kampf auch das Rennen um begehrte neue Taxistandplätze am Flughafen – gegen den wütenden Protest eines Konkurrenten, der zunächst in einer Ausschreibung siegte, aber dann doch abgewiesen wurde.
Dass Kontrolle weiter nottut, erfuhr Pavel Bém bei seinem zweiten Einsatz im Feld. Der Oberbürgermeister gab sich als Rockmusiker aus, sprach Englisch und ließ sich begleiten von einer Person, die sich mit einem Gitarrenkoffer tarnte. Man nahm zwei Taxis. Im ersten rundete der Fahrer beim Umrechnen des Fahrgelds in Euro stillschweigend aufs Doppelte auf, dafür verzichtete er auf die Ausgabe einer Quittung. Der zweite, ein Mann von AAA , war absolut korrekt. Den Herrn der Stadtverwaltung erkannte er nicht und gab auf Béms Fragen fröhlich Auskunft, wo man in Prag bei Nacht Marihuana und Girls für zwanzig Euro bekommen könne. Auch politisch wusste der Mann Bescheid. Als der Gast wissen wollte, wer denn im Rathaus zur Zeit an der Spitze stehe, erhielt er zur Antwort: »Irgend so ein Bém.«
Inzwischen ist Bém nicht mehr im Amt, nach einer Serie von Korruptionsskandalen und dramatischem Sympathieverlust trat er bei der Kommunalwahl im Herbst 2010 nicht mehr an. Das Problem mit den Taxifahrern aber bleibt. Die Kontrollen wurden verstärkt, es kam zu heftigen Konflikten, im Sommer 2009 sogar zu einer blutigen Schlägerei zwischen städtischen Polizisten und Taxifahrern, die einen Standplatz auf dem Altstädter Ring auf Anordnung des Magistrats nicht räumen wollten. Bei einer Stichprobe im Jahr 2010 belegte die Stadtverwaltung jeden dritten von insgesamt rund dreihundertfünfzig Chauffeuren mit einer
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