Lesereise Sizilien
Inhalt.
»E Lei, signorina?« Ich bestelle einen caffè macchiato, eine Art Espresso mit Milchmütze. Einen cappuccino zu ordern wage ich nicht, wer nach elf Uhr einen cappu bestellt, outet sich auf der Stelle als kulturloser Tourist.
Ich könnte schlemmen bis zum Umfallen. Doch um nicht zurückzukugeln, meine Garderobe vollständig erneuern zu müssen oder wegen Übergewichts der Fähre verwiesen zu werden, lege ich ab und zu einen Obsttag ein. Zum Glück eine leichte Übung auf der Insel der Früchte: Trauben, Kirschen, Melonen, Erdbeeren, Aprikosen …
Wenn da nicht noch das Eis wäre, das eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem Speiseplan steht. Wenn die Sonnenglut wie ein schwerer Mantel über der Insel hängt und nur atmen kann, wer in einem Haus mit Klimaanlage lebt. Wenn der Scirocco, der warme Wind der Sahara, so heiß bläst, dass man beinahe zerfließt, das Landesinnere einem Backofen gleicht, die Städte vor Hitze zu flirren beginnen, dann muss man sich zur Abkühlung – auch zur inneren – etwas einfallen lassen.
Es war um 800 nach Christus, als die Araber »Sharbar« auf die Insel brachten, schneegekühlte, süße Getränke. Aus ihnen machten die Sizilianer später granita: Wasser, Zucker und Fruchtsaft, unter ständigem Rühren geeist. Süß, duftig, feinkörnig, herrlich frisch an einem heißen Sommertag, serviert in einer Tüte oder einem Plastikbecher mit Löffel. Die Anfänge der gelaterie, der Eisläden, gehen ins 17. Jahrhundert zurück. Damals holte man auf dem Rücken der Maultiere und auf Eselskarren im Frühling den Schnee von den Gipfeln des Ätna. Daraus wurde Eis gemacht. Es gab regelrechte Wettstreite, um sich bei der Kreation von Eis zu übertrumpfen. In neviere, schmalen zylindrischen Ausschachtungen, wurde die weiße Kostbarkeit dann aufbewahrt. Ende des 17. Jahrhunderts soll es über zwanzig verschiedene Eisrezepte gegeben haben. Als der zarte Schmelz noch nicht in Läden verkauft wurde, zog ein dreirädriger, bunt bemalter und mit glitzernden Lichterketten geschmückter Eiswagen durch die Straßen. Aus Lautsprechern pries der Eismann seine Ware an. Das ganze Dorf kam angelaufen, bis kurz vor Mitternacht bildeten sich lange Schlangen vor dem Wägelchen. In so manchem kleinen Bergnest kommt übrigens bis heute der Eismann, mit Dreiradwagen und einer riesigen Kühltruhe.
In den Städten gibt es die gelaterie und die pasticcerie, die die herrlichsten Eissorten anbieten: Eis aus cactus, Kaktusfeigen, gelso, Maulbeeren, zagara, Orangenblüte, melograno, Granatapfel. Granite aus geeistem Kaffee oder Zitronensaft oder Feigen.
Mein absoluter Favorit ist das seidig-cremige Jasminblüteneis, eine alte arabische Spezialität, weiß wie die Blüten und duftend wie ein Sommertag – und einigermaßen kalorienarm, zumindest verglichen mit einer prall gefüllten brioche …
Zwischen Wildschweinen und Zwergpalmen
Die Riserva Naturale dello Zingaro
»Pericolo!« Feuerrot und zweimal unterstrichen. Das Warnschild ist eigentlich vollkommen überflüssig, denn nur einen Schritt vor mir fällt die Klippe unübersehbar metertief ins Meer. Schade, denn unten lockt eine zauberhafte kleine Bucht. »Da kommst du besser mit dem Boot hin«, rät mir mein Begleiter Fabio, seines Zeichens Ornithologe, und sieht mich etwas komisch an. Ob er ernsthaft gedacht hat, ich würde mich dort abseilen? Oder runterspringen?
Wir sind unterwegs im Naturpark Riserva Naturale dello Zingaro, steigen über entwurzelte Baumstämme, ziehen den Geruch von Macchia und Meer tief in die Lungen, bestaunen die Brandung, die sich in die Felsen frisst, wild und ungestüm. Wir wollen Vögel sehen, neununddreißig Arten wurden im Zingaro gezählt, darunter einige seltene Greifvögel. Und Pflanzen, über siebenhundert verschiedene Arten gibt es, darunter viele Orchideen, die von März bis Mai blühen.
Ich streife mit Fabio durch den bergigen Teil des Naturparks, klettere steinige Wege entlang, schlüpfe durch Unterholz. Plötzlich quiekt es. Ein Frischling. Ein paar Meter vor uns rast er über den Weg, hat mehr Angst vor uns als wir vor ihm.
Wir hecheln weiter. Oder besser, ich hechle, Fabio marschiert zügig voran. Einmal führt der Weg hoch über dem Meer einen Steinhang entlang, dann wieder Felsenstufen jäh bergauf. Ab und zu stehen Agaven so malerisch am Weg, als hätte sie jemand extra dorthin gepflanzt. Es gibt Plätze, die sind schön, es gibt Plätze, die sind schön gelegen, und es gibt diesen Naturpark, für
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