Lesereise Sizilien
auch geboten bei kleinen Kindern, die Sie mit mitleidigem Blick um ein paar Euro anbetteln. Oft haben die Kleinen über den Händen, die sie Ihnen entgegenstrecken, einen Pappkarton, worauf Sie als mitfühlender Mensch natürlich auch etwas Geld legen. Wer kann großen, flehenden Kinderaugen schon wiederstehen. Doch bevor Sie Ihren Geldbeutel zücken können, sind Sie ihn möglicherweise schon los. Eine Hand unter der Pappe hat das Kind dann nämlich in ihre Tasche gesteckt, so schnell schauen Sie gar nicht. Die Kinder gehören zu Banden, die zum Stehlen regelrecht erzogen werden. Den Verdienst müssen die Kleinen bei ihren Bossen abgeben.
Wer mit dem Auto oder dem Leihwagen unterwegs ist, räumt das Innere besser leer, damit Begehrlichkeiten erst gar nicht geweckt werden können. Es kann auch nicht schaden, die Tür von innen abzuschließen, sonst könnte diese geöffnet und dem Beifahrer die Tasche entrissen werden, die auf seinen Knien ruht – alles nur Worst-case-Szenarien! Beim Fahren durch Großstädte hält man das Fenster besser geschlossen. Die Sizilianer ziehen außerdem noch das Radio raus und tragen es unter dem Arm spazieren. Sicher ist sicher.
Alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen? Dann entspannen Sie sich! Wem nämlich die Angst vor einem Überfall ins Gesicht geschrieben steht, der hat größere Chancen, Probleme zu bekommen. Grundsätzlich gilt: im Zweifelsfall Euros raus, kein falsches Heldentum. Ach, und bei »kleineren Diebstählen« können Sie sich den Gang zur Polizei eigentlich sparen, die Aufklärungsrate ist minimal …
Wer jedoch ganz auf Nummer sicher gehen will, der bummelt und parkt nur in Taormina. Man sagt, die Mafia habe hier in großem Stil in den Tourismus investiert und sorge für Ruhe und Ordnung. Vor der Mafia muss sich der gemeine Tourist überhaupt nicht fürchten, deren Verbrechen spielen sich in ganz anderen Größenordnungen ab. Außerdem bringt der Gast den Hotels und Restaurants dicke Gewinne, und das ist gut für die Herren mit den Schutzgeldforderungen.
Der Tourismus ist eine der bedeutendsten Einnahmequellen für die Sizilianer – nicht nur für die Mafia. Streng genommen stünde eine prozentuale Beteiligung post mortem auch dem Mann zu, der den Werbeslogan schlechthin erfunden hat: »Italien ohne Sizilien macht gar kein Bild in der Seele; hier erst ist der Schlüssel zu allem.« (Johann Wolfgang von Goethe am 13. April 1787 in seiner »Italienischen Reise«, veröffentlicht 1817). So ein Spruch macht neugierig und aktiviert die Massen.
Als der Tourismus richtig zu boomen begann, war leider die Gier oftmals größer als die Weitsicht. Mit Schnellstraßen betonierten die Sizilianer ihre Küsten zu, in herrliche Landschaften bauten sie ein paar Bettenburgen und Sommersilos in multiproprietà, das verschandelt. Mittlerweile besinnt man sich, weist Naturschutzgebiete aus, setzt vor allem im Landesinneren auf Ökotourismus und agriturismo, Ferien auf dem Bauernhof in landschaftlicher Idylle mit Küche direkt vom Feld und Pferden im Stall. Die Zimmer sind meist in den ehemaligen Tagelöhnertrakten oder Landarbeiterwohnungen, wie in Coda Volpe, inmitten eines Zitronenhains eingerichtet. Nach ein paar Tagen kennt man die Hühner beim Namen und fühlt sich wie zu Hause, eine schöne Alternative für Ferien auf Sizilien.
Feiern im Namen des Glaubens
Wundertätige Heilige und heidnische Vermächtnisse
Die meistverehrte Heiligengestalt im Macholand ist eine Frau. Rosalia heißt sie, Santa Rosalia, Santuzza wird sie liebevoll genannt und atemberaubend schön ist sie.
Für Rosalia ist nichts zu schade, sie ruht, von funkelndem Geschmeide umgeben, in einen kostbaren Brokatmantel gehüllt, in einem gläsernen Schrein. Um sie herum türmen sich von Bittstellern dargebotene Berge von Ringen, Amuletten, Broschen und Ohrgehängen.
Der Legende nach wurde das Mädchen 1130 als Tochter eines Grafen und Nichte Wilhelms II. geboren, mit vierzehn Jahren zog sie sich in die Bergeinsamkeit zurück. Das letzte Mal wurde sie 1166 gesehen. Es soll sich im Jahre 1642 zugetragen haben: Die Pest wütete in Palermo, da erschien die heilige Rosalia einem Schäfer im Traum und zeigte ihm den Weg zu ihrer Grotte. Darin wurde auch tatsächlich ein weibliches Skelett gefunden. Auf Wunsch der Bevölkerung trug der Bischof der Stadt die Gebeine in einer Prozession durch die Straßen von Palermo – und die Pest hörte schlagartig auf, erzählt man sich. Nach diesem durchschlagenden Erfolg kommt die
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