Lesereise Sizilien
Katastrophe. Fragen Sie nicht …« Natürlich fragen alle. »Das ist ein Nadelöhr, sag ich Ihnen. Einschiffung, Überfahrt, Ausschiffung, dauert fast doppelt so lange wie die Fahrt vom Brenner nach unten!«
»Ein Skandal!«, mischt sich Walter Z., der Experte, wieder ein. »Seit Jahren wird hier über eine Brücke über die Straße von Messina gestritten. Über die Meerenge, fertig. Aber die Leute, die in den Fährbetrieben arbeiten, protestieren, haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Und ein paar hohe Herren haben wohl Angst um ihre Verdienste. Wird wohl nie was werden damit.«
»Und dann, stellen Sie sich vor, wir schiffen aus, mein Rückspiegel ist im Eimer. Total zersplittert.« Scheint ein echter Glückspilz zu sein, der Herr von der Rezeption.
»Tja!«, meint der Experte und grinst breit. »Kommt davon, wenn man so knausrig ist.«
»Wie bitte? Was erlauben Sie sich!« Unterschwellige Aggression macht sich breit.
»Naja, das können Sie ja nicht wissen«, wiegelt der Experte ab. »Drücken Sie den Männern, die Ihr Auto parken, ein paar Euro in die Hand, dann passiert Ihrem Auto garantiert nichts.«
Eine Woche später sitzt die Gruppe wieder in der Hotelhalle. Die vormals bleichen Gesichter sonnengebräunt, die angespannten Züge locker, inzwischen duzt man sich. Und alle gucken melancholisch, weil sie schon bald den Heimweg antreten müssen, schwärmen von bella Sicilia und verabreden sich für das nächste Jahr. Gleicher Ort, gleiche Zeit, gleiche Anreise.
Gut angekommen, aber irgendwie ein kleines bisschen Angst vor Sizilien? Ein ungutes Grummeln in der Bauchgegend? Schließlich liest man so viel. Vergessen Sie’s! Sizilien ist nicht mehr oder minder gefährlich als andere Urlaubsziele auch – außer vielleicht Borkum oder Helgoland.
Allerdings sollte man ein paar Sicherheitsmaßnahmen beachten. Denn es gibt eine erhöhte Bereitschaft zu Gewalt und Verbrechen, die aus der Armut erwächst. Das Durchschnittseinkommen in Sizilien beträgt nur etwa zwei Drittel des nationalen Aufkommens. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem bei Jugendlichen ohne Ausbildung. Wer ein Diplom besitzt, geht zumindest vorübergehend in den Norden. Schulzimmer sind oft nur in provisorischen Räumen untergebracht, weil das Geld für den Bau nie dort angekommen ist, wo es sollte. Die, die sich’s leisten können, bringen den Nachwuchs auf Privatschulen. In den Armenvierteln schicken viele Eltern ihre Kinder erst gar nicht in die Schule. Wozu auch, die Mafia als Arbeitgeber ist immer noch konkurrenzlos. Ein paar kleine Kurierdienste bringen schnell verdientes Geld oder eine neue Adresse: Malaspina, die Jugendhaftanstalt Palermos, ist chronisch überlastet. Im Schnitt werden bis zu neunzig Jugendliche pro Monat dort eingewiesen, in Mailand sind es nur etwa fünfzehn. Drogensucht und Kleinkriminalität treiben sie hinter Gitter. Zehnjährige werden Aushilfskellner, verkaufen an der Ampel an der Ecke Feuerzeuge, putzen Fensterscheiben für ein paar Euro.
Folglich ist dringend davon abzuraten, als gut situierter Tourist Großmutters Juwelenkollier für alle sichtbar um den Hals zu hängen oder mit Geldscheinbündeln zu winken, die goldene Rolex muss auch nicht unbedingt sein. Weiter empfiehlt es sich, Handtasche oder Rucksack im Hotel zu lassen, Pass, Kreditkarte und Ähnliches in den Hotelsafe zu stecken. Sicherheitshalber sollte man EC -Karten-Sperrnummern mitnehmen und Fotokopien von den Ausweispapieren machen, das erleichtert die Anzeige auf dem Polizeirevier für die Versicherung. Bevor die Gauner zuschlagen, beobachten sie ihre Opfer in der Regel über längere Zeit. Beim Einkaufen spähen sie durch die Ladentür, beim Geldziehen aus dem Automaten warten sie um die Ecke. Schließlich soll sich der Aufwand ja lohnen! Und all die Mühe war umsonst, erwischt man einen Touri, der sich an die Vorsichtsmaßnahmen hält und nur ein paar Euro eingesteckt hat. Wenn Sie also Cash aus dem bancomat holen, wählen Sie besser einen, der in sicherer Entfernung von der Gehsteigkante liegt und ziehen Sie die Scheine erst raus, wenn die Straße leer ist. Man sollte auch nicht unbedingt durch finstere Gassen schlendern oder das Nachtleben in Armenvierteln erkunden wollen. Die bevorzugten Arbeitszeiten der scippatori, der berühmt-berüchtigten Handtaschenräuber, sind nachts und mittags zur Siestazeit. Aber, keine Bange, selbst in den dunkelsten Hafenecken muss man höchstens um sein Geld, nicht aber um Leib und Leben bangen!
Vorsicht ist
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