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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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genannt.
    An pittoresker Schönheit wie an Alter steht ihr nebenan das Clergy House um nichts nach, vermutlich das Haus eines Pfarrers aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Der alterskrumme Fachwerkbau ist eingehüllt vom Blütenduft, hier gedeihen Rosen, Levkojen, Lavendel, und im Garten wachsen Erbsen, Feigen, Mohn und vieles mehr, und alles liebevoll gepflegt.
    Der eigentliche Baustein in den Downs ist der Flint, der Feuerstein, so wie er in den Kreidehügeln vorkommt. Als ganzer Kiesel ( knitwork ) oder aufgeschlagen, dunkel schimmernd wie ein alter Flaschenboden, dicht an dicht im Mörtelbett verlegt als flushwork , findet er sich überall in Mauern und Fassaden.
    Westdean zum Beispiel, von der Straße bei Exceat und dem lebhaften Parkplatz am Cuckmere durch einen einzigen Hügelkamm wie ein für allemal getrennt und halb vergessen in der Mulde, wirkt wie ein Musterkatalog der Flint-Bauweise. Die Kirche ist aus Feuerstein, das Pfarrhaus daneben ebenfalls, eins der ältesten bewohnten Gebäude in Sussex, auch das Coach House – und die ganze Mauer rundherum. Hier soll schon Alfred der Große im 9. Jahrhundert einen Herrensitz besessen haben, zumindest gönnt ihm das die englische Erinnerung, und ein Kirchenfenster soll noch aus der Sachsenzeit erhalten sein. Die Kirche selbst stammt von den Normannen, doch seither hat sich nicht mehr viel getan, und Westdean gilt als unversehrtester von allen Weilern Sussex’.
    Nur eine Viertelstunde weit entfernt von Alfriston, zum Fluss hinab und gegenüber hügelan, liegt Lullington Church, die kleinste Kirche Englands oder bloß von Sussex, keiner weiß es ganz genau, doch allemal eine der kleinsten, und wieder ganz aus Flint gebaut, mit einem Turm aus Holz. Auch Litlington hat eine Kirche aus demselben Material, und in Wilmington begegnet uns der Feuerstein schon wieder. Er wurde südlich, am Windover Hill, gewonnen, schon zur frühen Zeit der Kelten, die auch noch Spitzen für die Pfeile und Klingen aus ihm schlugen. Die Minen sind noch beim Spaziergang zu entdecken, aber hier hat längst ein größeres Spektakel den Wanderer in Bann geschlagen: die riesenhafte Kreidezeichnung des Long Man of Wilmington, das größte Abbild einer menschlichen Gestalt in Westeuropa, dreiundsiebzig Meter hoch, als Umriss weiß ins Grün des flachen Hangs gekerbt. Unverhofft erschreckt sein Abbild selbst die Eiligen am Steuer auf der A 27. Als stütze er sich links und rechts auf einen Stab, vielleicht auch an den Rahmen eines Bildes: So steht er da und gibt gelassen Rätsel auf. Woher haben seine Bildner, gleich ob es Römer waren, Sachsen oder Kelten, wohl gewusst, dass sie sein Bild auf diesem wenig steilen Kreidehang als Anamorphose anzulegen hatten, deutlich länger, als es dem Betrachter vorkommt? Und wenn er wirklich einen Heidengott verkörpert: Warum haben ihn die Mönche der Abtei in Wilmington so lange toleriert? Haben sie ihn, aller Wissenschaft zum Trotz, am Ende selbst in den Hang gekerbt, »for fun«, wie hier ein Vers besagt?
    Nichts dafür ist rätselhaft an jener zweiten chalk hill figure , die wir gar nicht weit von hier entdecken. Da haben wir den Aussichtspunkt in Wilmington verlassen und wandern wieder einsam durch die Kalkheide am Abhang des Windover Hills. So sehen wir im Hügel gegenüber, dem Hindover Hill, das flächig weiße Pferd, das um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein Farmer in das Gras gegraben hat, das einzige in Sussex, doch mit reichlicher Verwandtschaft fern in Wiltshire. Nichts, wie gesagt, ist daran rätselhaft, es sei denn das Motiv des Künstlers; denn so nahe neben dem berühmten Riesen musste alles wie ein Plagiat erscheinen, selbst ein weißes Pferd, und hätte es auch nicht die Hinterbeine in Bewegung und seine Vorderläufe ruhig – »als ob ich Geld darauf gewettet hätte«, wie ein Spötter lakonisch bemerkt.
    Wohin wir uns hier weiter wenden würden, tiefer in die grünen Hügel auf der gut markierten Route des South Downs Way oder auch zurück ans Meer: Doktor Johnson wäre uns hier nicht gefolgt. Er hielt es mehr mit der Geselligkeit und seinesgleichen: Nichts, was Menschen je ersonnen hätten, schaffe ihnen mehr Glückseligkeit als eine gute Kneipe. Das war einer seiner viel zitierten Sprüche. Genügend Wirte haben sich den seither aufs Panier geschrieben – und manche gleich auch an die Theke.
    Uns fällt es leicht, die Gegensätze zu versöhnen: Nichts schöner, als in einer schönen Landschaft auf ein schönes Dorf zu treffen

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