Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
die da aufragten, seit die Hand des Schöpfers sie geschaffen hatte. Einige sahen aus wie riesige Möbel, ungeheure Stühle und schiefe Tische. Manchmal lag von den kleinen, zerbröckelnden Steinen einer auf dem Grund eines Hügels, der selber schon ein Gigant war, dessen ruhige Gestalt die Heide und das derbe, buschige Gras überdunkelte. Große, lange Steine standen weit zurückgelehnt und schienen wunderlich zu schwanken, als überließen sie sich dem Wind. Und da gab es flache Altäre, deren glatte und glänzende Flächen gen Himmel schauten, auf Opfer wartend, die niemals kamen.«
Von hier aus ist Brown Willy – wie er im Volksmund heißt – zu entdecken, vierhundertzwanzig Meter hoch, der höchste Berg in Cornwall, der zwar braun ist, aber weder »Braun« noch »Willy« heißt, sondern Bryn Huel: Der Rücken mit der Zinnmine. Hier hat vor Jahrmillionen der Granit den Stein ringsum zu Erz gebacken. Von hier aus sehen wir die Gruben nahe Camelford, die Windrotoren nah dem Meer, die Steinskelette eines alten Hügeldorfs, am Horizont das Meer, davor das größte Loch von Menschenhand in England, die Schiefergrube von Delabole.
Tatsächlich: Wie ein Opferstein aus blutiger Vergangenheit sieht diese Kuppe aus, und die Vergangenheit ist nicht einmal so fern, nur eben anderthalb Jahrhunderte. Unten haben wir die Stele von Granit gesehen, die an einen Mord im Moor erinnert, das unverwitterliche Mahnmal einer Bluttat, die nach Blut verlangte und ihr Blut erhielt: 1844 wurde nah am Felsen ein Mädchen aus der näheren Umgebung, die Magd Charlotte Dymond, sechzehn Jahre alt, ermordet aufgefunden. Man hatte sie zuletzt mit ihrem Freund gesehen, einem Matthew Weekes. Der sagte aus, sie habe sich von ihm getrennt, um einen anderen zu treffen. Man kam nicht weiter in dem Fall, bis Weekes mit einem Mal verschwunden war. Als man ihn dann in Plymouth wiederfand, war das so gut wie ein Geständnis. In Bodmin machte man ihm den Prozess und hängte ihn zuletzt, auch ohne weitere Beweise. Zwanzigtausend Menschen, heißt es, drängten sich, die Hinrichtung zu sehen. Man musste damals wohl bis ins Gefängnis, um in Bodmin etwas zu erleben.
In Temple, einem Weiler nahe der A 30, wurde noch im 17. Jahrhundert wegen Schafdiebstahls die ganze Dorfbevölkerung, sofern sie männlich war, zum Tode durch den Strang verurteilt. Zwei kamen damals wirklich an den Galgen: Mehr Männer gab es nicht im Dorf. Die Weiber mochten unterdessen ihre Tür verriegelt haben, um mit den Fingern in den Ohren einzuschlafen. So steht es in »Jamaica Inn« und ist wohl nicht einmal erfunden.
Hinab durch Binsen führt der selbst gewählte Weg, dann wieder hoch am glitzernd-griffigen Granit, durch Heidekraut und Beeren, bis es nicht mehr höher geht in Cornwall. Nur die Krähen sind noch über uns und zeigen, wie der scharfe Wind sie fliegen lässt: rückwärts, mit dem Bauch nach oben.
Einmal haben wir hier oben Somerset gesehen, wie wir es gelesen haben, im Atlantik Lundy Island, über sechzig Kilometer weit entfernt, und das Landesinnere von Cornwall mit dem Innersten zuoberst: die weißen Abraumhalden bei St. Austell. Da haben wir den Weg herüber vom Jamaica Inn gemacht, weg von dem Lärm der Straße. Die Warnung, mit dem Kugelschreiber in den Pfosten eines Footpath-Zeichens eingekerbt, schien uns damals wie eine Ermunterung, der albernen Betriebsamkeit der renommierten Bleibe zu entrinnen: »Attention! Four hours nonstop there and back!« – So war es auch, vier Stunden hin und her, ein strammer Marsch, anfangs noch auf ungefügen Karrenwegen von zyklopischem Gestein, dann von Berg zu Berg in trockenem Gelände im Quellgebiet des Fowey, zuletzt genauso auch zurück mit Catshole Tor und Tolborough Tor. Da glänzte der Stausee von Collimond unter der Sonne, und wir wussten: Links davon erreichen wir Jamaica Inn mit seinem Souvenirshop und den Bars, dem Kinderspielplatz und den unerhörten Attraktionen von Potter’s Museum of Curiosities and other Memorabilia: das achtbeinige Schwein, die Schule im Kaninchendorf, die Eichhörnchen im eleganten Zweikampf mit dem Degen, das Lamm mit den zwei Köpfen. – »Durch diese Tür«, so steht es an der Schenke, »gingen einmal Schmuggler, Riffpiraten, Schurken, Mörder ein und aus.« Doch das ist lange her.
Schon dreißig Jahre nach dem Buch war ihr »Jamaica Inn« nicht wiederzuerkennen, schrieb 1967 Daphne Du Maurier. Wenn sie mit dem Auto hier vorüberfahre, fühle sie sich schuldig, gab sie zu – als
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