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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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Spitzen zu dreiunddreißig Metern Höhe reckt. Größer ist in Cornwall nur St. Petroc’s Church in Bodmin, am westlichen Ende des Moores. Petroc, und vor ihm schon Guron, hatten ihr keltisches Christentum nach Cornwall gebracht, ehe Augustinus fern in Canterbury die englische Mission begann. So kommt es, dass im fernen Westen beinahe jedes zweite Dorf nach einem Heiligen benannt ist, den die vertraute Hagiografie nicht kennt, St. Neot, St. Cleer und St. Clether, St. Tudy, St. Mabyn, St. Breward liegen rings um das Moor. Hier ist das Land solider Schiefergrund, das Urgestein dazwischen, zweihundertsieben Quadratkilometer Granit, kaum ein Drittel der Fläche von Dartmoor, scheint dagegen ein satanisches Imperium zu sein. Die Heiligen und die Gespenster, die Betjeman in einem Satz vereint: Sie scheinen ihre geologischen Entsprechungen zu haben. Doch gegenwärtig sind sie alle miteinander, teils in Geschichten, teils in der Geschichte: Einmal, heißt es, kamen Händler auf den Markt nach Bodmin, boten reiche Waren feil zu einem Preis für jedermann, Samt und Seide, Westen, Roben, Blusen, Tücher, Handschuhe und Federhüte. Tage später ging der Tod von Haus zu Haus, zu spät verbrannte man die Kleider, und Ungezählte starben an der Pest. Der schwarze Tod kam mehrmals auf die Insel: Wer also will entscheiden, wieweit der Fall authentisch ist und wieweit bloß eine puritanische Moralepistel?
    Natürlich heißt im Bodmin Moor das gurgelnde Gefälle eines Bachlaufs Devil’s Jump, und in jedem Sturmwind offenbart der Teufel sich aufs neue. Denn es ist ja nicht das Wetter, das sich stöhnend da vernehmen lässt, sondern der grausame Verwalter und Zehnteintreiber Jahn Tregeagle, den der Böse in Person gezwungen hat, Dozmary Pool, den Teich im Moor, mit einer Muschelschale auszulöffeln. Anders kann er seine Seele nicht vor ewiger Verdammnis retten, also gar nicht, denn die Muschel hat ein Loch, und der Pool ist bodenlos, so wird erzählt! 1869 freilich war er einmal ausgetrocknet und zeigte seinen Grund. Doch an der Legende hat das nichts geändert, und noch heute fürchtet man im Bodmin Moor das grimme Ächzen Tregeagles.
    Dozmary Pool, ein Stück nur weg von Bolventor, doch abseits der A 30, ist nach dem Jamaica Inn der meistbesuchte Fleck im Bodmin Moor. Wann immer uns der Weg dorthin geführt hat, saßen Leute dort beim Picknick nah am See, junge Ochsen standen in den Binsen, die Wolkenbilder jagten durch das Spiegelbild des Wassers, und einer in der Runde erzählte, was sie alle gern für möglich halten wollten: Hier war es, wo der sagenhafte Christenkönig Artus oder Arthur sein Wunderschwert Excalibur erhielt, dargeboten aus dem Wasser vom weißen Arm der Lady of the Lake. Merlin war sein Zeuge, und so glaubt man es bis heute. In Tintagel an der Küste wurde Artus geboren, im Tal bei Camelford am Rand des Moors steht heute noch die alte Slaughterbridge, »Gemetzelbrücke«, bei der er starb in seinem letzten Kampf mit Mordred, seinem Neffen oder Sohn. Und weiß man denn, ob Artus’ sagenhaftes Camelot nicht bloß der andere Name von Camelford war?
    Von hier aus führt ein Weg ins Moor und gleich auf Cornwalls höchste Berge. Vorüber an der Rough Tor Farm verläuft die Straße bis zum Rand des Moors mit dem Parkplatz der Forestry Commission. Die kleine Brücke aus Granit dahinter ist wie eine Grenze. Von nun ab gibt es weder Weg noch Steg, nur noch die Richtung: Geradewegs auf Rough Tor zu mit seinen Kuppen aus Granit: Showery Rock, Little Rough Tor, Logan Rock und Rough Tor selbst, dreihundertneunundneunzig Komma sechs Meter hoch, der zweithöchste Gipfel von Cornwall. Hier grasen kleine Gruppen von Pferden, immer wieder Schafe bis zum Horizont, dazwischen Rinder wie aus fernen Zeiten, scheu und zottig, Highlanders mit mächtigem Gehörn, von dem die Fransen bis zum Maul herunterhängen. Das Bodmin Moor ist nicht wie das Dartmoor ein geschützter Nationalpark; das Land ist Weideland der Farmer, die freilich in der Regel jedermann freien Zutritt gewähren, der sich an die offenbaren Regeln hält: Alle Gatter wieder schließen! Hunde an die Leine! Finger weg vom Vieh!
    Das Vieh räumt freiwillig den Weg, und Gatter gibt es nur am Anfang. Der Boden federt unter jedem Tritt, überall bricht Granit aus dem moosigen Grund. Dann sehen wir den Rough Tor so wie Mary Yellan in »Jamaica Inn«: »Auf den hohen Felsblöcken standen aneinandergelehnt die Steinplatten als seltsame Formen und Gestalten, wuchtige Schildwachen,

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