Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
im Norden fünfzehn Schiffe. Auch die kleine Glocke im Turm stammt von einem Wrack: »From Padstow Point to Hartland Light/ Is a watery grave by day or night.« Auf alles, was zu lernen war, hat sich der Volksmund seinen Reim gemacht.
Sogar das Kirchlein selbst lag jahre- und jahrzehntelang im Dünengrab. Erst 1864 ist es wieder freigebuddelt worden, vorher hatte man den Pfarrer einmal jedes Jahr am Seil durchs Dach hinabgelassen, damit die Kirche von St. Enodoc ihr Privileg behielte. Behalten hat sie davon aber ihren zweiten Namen: Sinkininny Church – »Sink-ein-hinein-Kirchlein«.
Unser alter Wanderfreund genießt es sichtlich, dass wir die Geschichte kennen – und Cornwalls Küste –, und so auch die Legende von Portquin, das für den Nachmittag noch vor uns liegt. Er schaut noch einmal durch sein kanadisches Glas, ob er uns noch etwas zeigen könne für die nächsten Tage. Im Winter, sagt er, wenn es klar ist, kann man bis nach Wales hinüberschauen, Lundy Island sieht man sowieso. Von dort kam früher der Granit als Baustein, auch für die schöne Kirche mit dem hohen Turm von St. Endellion, oben an der Straße, an der wir uns nun eine Zeit lang orientieren.
Den Weg braucht unser Freund uns nicht zu zeigen, der findet sich von selbst: Am Rand der Klippe immer weiter, auf und ab durch jede Welle im Gelände, und dabei stets dem gelben Eichelzeichen für den Coast Path nach. Wir winken noch einmal beim Blick zurück und sehen nun, woher The Rumps ihren Namen, »Hinterbacken«, haben: das Hügeldoppel hat tatsächlich diese allerwerteste von allen Formen. Dazwischen, in der Mulde, siedelten die ersten Menschen schon zur Eisenzeit. Die Spuren ihrer Klippenfestung sieht man leicht mit bloßem Auge aus der Ferne.
So geht es weiter durch den Wind, entlang an flechtengrauen hedgelines , wie man hier, wo alle Hecken fehlen, die sorgsam mörtellos im Fischgrät-Ornament gelegten Felssteinmauern dennoch nennt, die mit den Hügeln auf- und niederlaufen, vorbei an kleinen nässedunklen Inseln, die wie getüncht vom Kot der Vögel wirken, alleine mit den Möwen und den Schafen, allezeit dem Wind entgegen, wie es scheint.
Cornwall liegt so offensichtlich abseits, fern von England, das tatsächlich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch erst am Tamar beginnt, abseits der Geschichte, eher den Gezeiten als dem Lauf der Zeiten unterworfen, dass man sich zu wundern hat, wie sehr jeder Flecken fest verbunden ist mit einer eigenen Geschichte. In diesem Land, durch das in ferner Zeit die Heiligen gezogen kamen, keltische Missionare zumeist, die in Rom und in den offiziellen Heiligenregistern keiner kennt, die aber hier auf jeder Landkarte als Ort lebendig sind, St. Teath, St. Mabyn und St. Neot und ungezählte andere – in einem solchen Land sind die Geschichten meist Legenden wie die des Eremiten Enodoc und die der schönen Menfre oder Menefreda, der heiligen Patronin in St. Minver: Sie saß dort arglos vor dem Spiegel bei der Toilette und kämmte sich das Haar wie Loreley, als ihr der Teufel nahetrat, um sie zu ärgern. Sie warf im Zorn den Kamm nach ihm, und er, in seiner Not, fuhr mitten durch den Fels zur Hölle. Das Loch ist heute noch zu sehen, Lundy Hole, ein Durchlass in der Klippe, durch den wir auf den Strand von Lundy Beach hinunterschauen, die Ruine einer Höhle in den Klippen, doch zugleich auch ein Beweis des Glaubens, wenn schon nicht des Teufels.
Der Teufel hatte auch die Hand im Spiel bei Doyden Castle, einem kleinen folly , wie man hier ein solches Lustschloss nennt, das auf der Klippe vor uns liegt: Das gotisch inspirierte Häuschen mit seinen Zinnen und Fialen wünschte sich der Bonvivant Samuel Symons aus Wadebridge an der Camel-Mündung 1827 mitten auf die Klippe. Was er dort trieb mit seinen Freunden in der Nacht, davon schweigt die Überlieferung. Viel Gutes wird es nicht gewesen sein, und einmal überspannte er den Bogen: Da peitschte er die Pferde mit Gespann zur Klippe und stürzte mit der Kutsche in den Tod. Wer, wenn nicht der Teufel, hat Samuel Symons nun in der Hand?
Hinter Doyden Point erreichen wir Portquin, weit eher eine Bucht als bloß ein Hafen. Als wir uns vor zwanzig Jahren ungefähr, auf einer Reise nach Land’s End, zum ersten Mal hierher verirrten, stand kaum ein Haus am Slipway – und erst recht kein Auto. Kletterpflanzen hatten die Gemäuer überwuchert, der Rest gab Rätsel auf. Später haben wir hier einmal vierzehn Tage lang gewohnt, zwei Wochen voller Regen, in einem cottage
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