Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Granit gesetzt, ein kühnes Unterfangen ohne Frage, das dann dem Flecken auch den Namen gab: Bold Venture oder Bolventor.
1989, früh im Jahr, hat Daphne Du Maurier den alten Tatort ihrer Imagination zum letzten Mal besucht, vier Widmungsexemplare ihrer Bücher hatte sie als Mitbringsel dabei. Dann fanden wir im Jahr darauf auf einem Sammlermarkt in Truro allerlei Gerätschaft, keine Schätze, bloß collectables , doch wertvoll durch den klein und golden aufgeklebten Zusatz: Aus dem Haushalt der verstorbenen Daphne Du Maurier. Am 14. April 1989 war die vielbewunderte Autorin auf ihrem nahen Herrensitz gestorben, auf Menabilly, dem »Manderley« aus ihrem wichtigsten Buch, »Rebecca«.
Jetzt hat Jamaica Inn, das Gasthaus im Moor an der Straße, die Schmugglerherberge von einst, ein eigenes Museum zu Ehren seiner Dichterin, den halben Arbeitsraum mit Schreibtisch, Zubehör und einer Probe jener Zigaretten, die nach ihrem Vater benannt waren. Hier weiß man, was man ihr verdankt: Nichts weniger als die gesamte Existenz. Denn seit im späten 19. Jahrhundert die Eisenbahn von Paddington nach Bodmin dampfte, stand die Postkutschenstation im Abseits und wäre heute längst vergessen, sicher wohl auch abgerissen, wenn Daphne Du Maurier sie nicht zum Schauplatz eines Bestsellers erhoben hätte: So viel zur Wirkung von Literatur.
Heute sind die meisten Schienen in der Gegend ohnehin wieder demontiert, und statt der ausgefahrenen Kutschenspur zieht sich die A 30 großspurig und vierspurig durchs Moor. Jetzt ist Jamaica Inn ein Rasthaus, ein viel besuchter Zwischenstopp der Urlauber im Sommer, ein Ort für Souvenirs und »Cornwall at its best«, wie mancher meint: nur echt mit Schmuggler und mit Augenklappe.
Und doch: Der Bus kommt auch kaum häufiger als damals im Roman die Kutsche, und häufig ist es nur der Schulbus über Blisland. Noch immer dehnt das Land sich hin nach beiden Seiten, noch immer gibt es weder Baum noch Weiler zwischendurch, ein ödes Sumpf- und Heideland, womöglich karger noch als Dartmoor, ein Bild, als wäre abseits des Asphalts der Mensch noch nicht erschienen.
»Wenn man auf das Moor kommt, kann man sehen, wie die Oberfläche Cornwalls aussah, ehe es dort Menschen gab«, schrieb Sir John Betjeman (1906–1984), Lyriker und Essayist, von seiner Königin geadelt und in den Rang des Poeta laureatus erhoben, ein Mann der Großstadt, der dem rauen Land im Westen Englands hoffnungslos verfallen war. Sein »Shell Guide Cornwall«, bloß ein Reiseführer, wird heute in den Antiquariaten als Rarität gehandelt. Freilich: Betjeman wusste es besser. Auch für ihn war Bodmin Moor »that sweet brown home of Celtic saints, that haunted thrilling land so full of ghosts« – das Land der Heiligen und der Gespenster, die Heimstatt versunkener Völker und Stämme, das Land der vorzeitlichen Rundbauten und Hüttendörfer, der Schädelstätten und Kapellen auf den Hügeln. Bodmin Moor bewahrt uns wie ein Palimpsest die Signatur von längst vergangenen Epochen.
Die Grabwerkzeuge der Archäologen haben im Verein mit Luftaufnahmen unter tiefer Sonne der rauen Wüstenei auf Cornwalls hartem Rücken schon manches Geheimnis entrissen; das flache Streiflicht, das die letzten unbemerkten Feldbauspuren sichtbar machen kann, hat viel vom Text der kornischen Geschichte schon zu entziffern geholfen. Und doch hat Betjeman in einem recht: Die ersten Siedler werden jede Kuppe, jedes Tor, kaum anders vorgefunden haben als wir heute, wenn wir die letzte Straße erst im Rücken haben.
Überhaupt die Straßen: Es gibt ja nur die eine durch das Moor. 1769 wurde sie durch ein Gesetz beschlossen und gebaut, ein Mautpfad, der an seinen Schranken bald Gewinn abwarf, war er doch gleich sieben Meilen kürzer als die weite Nordumgehung über Camelford. Ansonsten sind nur kleine Nebenstrecken da, so breit wie eben eine Karrenspur, Wege, die bei einer Farm inmitten von Farnkraut enden oder auch im Nirgendwo und so den Reisenden zum Narren halten. Mit dem Auto kann man sich dem Bodmin Moor nur an den ausgefransten Rändern nähern, auf und ab und kreuz und quer, kaum weiter, als die Glocken reichen, mit denen früher die Verirrten bei Nebel oder Dunkelheit zurückgerufen wurden.
Da ist das Straßendörfchen Altarnun in einer Senke an zwei Abflussbächen des Granitplateaus, ein unbemerkter Weiler mit einer bestaunenswerten Kirche aus dem 15. Jahrhundert, genannt Cathedral of the Moor, der Innenmaße wegen und des Turmes, der sich mit seinen
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