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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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Autorin zwar geschmeichelt, doch als Wanderer von einst bestürzt: »Today all is changed.« Und noch einmal, mit Keats: »Changed utterly.«

»Forget about Land’s End!«
    Wandern am Atlantik
    »Forget about Land’s End!« – Der alte Herr saß hoch am Rand der Schieferklippe zwischen Padstow und Portquin. Vor ihm auf der Holzbank stand die Tupperware-Box mit allerlei zum lunch von seiner Frau, daneben lag das Fernglas seines Vaters und darunter die jahrzehntealte »Ordnance-Survey«-Karte, die sein Großvater ihm hinterlassen hatte. Wir hatten ihn schon früh entdeckt, allein im Wind, ein wenig langsamer als wir, auch weil er immer wieder innehielt, um mit dem Glas die schwarzen Kormorane zu beobachten. Dann hatten wir ihn eingeholt auf seiner Bank: Wir wünschten ihm »good afternoon«, »enjoy your meal« – und kamen ins Gespräch: Klippenwind verbindet, und Alleinsein macht gesprächig.
    Auch er war zu Besuch hier. Aber er war hier geboren. Jetzt lebten sie irgendwo in Sussex und kamen nur noch zwischendurch an den Atlantik, der Enkelkinder wegen. An manchen Tagen war er dann alleine unterwegs, die Küste seiner Kindheit zu besuchen. Wir hätten keinen besseren Berater finden können. Er faltete das graue Segeltuch der Wanderkarte auseinander und zeigte uns, soweit sie reichte, was er mit ausgestrecktem Arm die Küste auf und ab und fern am Horizont erklärte, Brown Willy und Rough Tor, die beiden Tafelberge hinter uns im Bodmin Moor, die Klippen auf der Höhe von Tintagel, den Küstenstrich in Gegenrichtung mit dem weißen Leuchtturm über Trevose Head, dunkel vor dem Widerschein des Meeres, gab Hinweise auf Zeit und Meilen und immer wieder Tipps zum Wandern. Nur eine Warnung war dabei: »Forget about Land’s End!«
    Er war erst kürzlich wieder dort gewesen bei seinen Fahrten in die eigene Vergangenheit und hatte kehrtgemacht vor einem Zerrbild aus der Zukunft: Cornwall als der playground für den Rest von England, das braune Chaos von Granit herausgeputzt zum bunten Freizeitpark. Gewiss, die Aussicht auf die Scilly-Inseln war noch so wie stets, auch die braunen Felsensäulen und das weiße Tosen in der Tiefe, doch scheint nun niemand länger der Natur allein zu trauen: Jetzt findet das Spektakel obendrein im Saal statt, so falsch wie die Säulen am Eingang; und für die eiligen Besucher gibt es Little Cornwall nebenan, ein Dörfchen en miniature mit cottages und Kirche und einer alten Zinnmine, so malerisch und ruinös wie alle auf dem Weg nach Zennor.
    Wir wussten, was er meinte, unser Ausflug nach Land’s End, knapp zwanzig Jahre nach dem ersten, lag nur ein paar Tage zurück. – »I will here sit me downe and rest«: Wenn Richard Carew seinen »Survey of Cornwall« neu zu schreiben hätte, er schriebe diesen Satz gewiss nicht wieder bei Land’s End, wie 1602. Doch hier womöglich, wo wir heute beieinandersitzen, hoch auf dem Fischschwanz der Klippe The Rumps.
    Ansonsten aber hat sich nicht so viel geändert mit den Jahren: Auch dafür stand der alte Herr mit seiner alten Leinwandkarte. Alle Wege sind verzeichnet, ausgenommen nur die Umgehungsstraßen und der Ausbau der A 30 hoch auf Cornwalls gewölbtem Rückgrat. Die alten, tief ins Erdreich eingekerbten Karrenwege sind inzwischen asphaltiert, jetzt taugen sie zum Wandern nicht mehr recht und auch zum Autofahren nur bedingt. Mehr als einmal sind wir mit dem Wagen hart entlanggeschrammt am Weißdorn in der Böschung. Die Absicht, wandernd auch das nahe Hinterland der Küstenlinie zu erkunden, hatten wir bald aufgegeben; zu häufig endeten die Wanderwege in Traktorspuren und Morast. Dafür hat die Klippe mit dem gut markierten Coast Path viel an Abwechslung zu bieten.
    Auf dem feinen Sand der Camel-Mündung haben wir an diesem Tag begonnen, sind den weißen Hinweissteinen geradewegs über den Golfplatz von St. Enodoc gefolgt, berühmt-gefürchtet wegen seines »Himalayas«, des größten Sandbunkers der Welt, und weiter durch die Salzluft und die Dünen bis zum Kirchlein von St. Enodoc. Gerade mal der spitze Turmhelm überragt wie ein krumm gedrehtes Eishörnchen die Tamarisken der Umfriedung. Gleich rechts vom Lychgate, dem überdachten »Leichentor« zum Friedhof, liegt Sir John Betjeman begraben, bis 1984 Poeta laureatus der Queen, daneben viele »unknown sailors«, wie der formelhafte Grabspruch immer wieder sagt. Allein an einem Sommertag, am 20. August des Jahres 1752, zerschlug der Sturm auf den paar Meilen zwischen The Rumps und Tintagel

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