Lesereise Zypern
davor schlüpften sie unter die griechische. Die jeweiligen Flaggenträger Zyperns sind heute noch so etwas wie Nationalhelden. Die Medaillenausbeute bei all den vielen Spielen aber, nun, die steht immer noch umgekehrt proportional zu den Anstrengungen und Erwartungen, denn sie liegt bei null. Doch das kann ja noch werden, vor allem im Winter.
Die drei Monate Training des Nachwuchses am Olymp nimmt Skilehrer Lambros oft selbst in die Hand. Heute will er aber nur einmal von oben schauen. Nach dem Ende des Schneetreibens fährt er im Sessellift die paar Meter hinauf zum Olymp. Doch kurz vor dem Scheitelpunkt der Bahn bleibt plötzlich der gebraucht gekaufte Lift stehen. Eine bizarre Szene ist zu erleben, die von Minute zu Minute kurioser wird. Der Olympia-Star Lambros Lambrou sitzt wie festgefroren in seinem Sessel. Seine Beine baumeln nur drei Meter über dem Boden. Zum Springen, ohne eine Verletzung zu riskieren, ist es zu hoch. Also heißt es warten.
Nur sein Mund bewegt sich und stößt wilde Flüche in die seidigen Nebelschwaden aus, die ihn zeitweise verhüllen, als ginge ein Vorhang vielleicht in Folge eines Regiefehlers ständig auf und zu. Der Liftboy, der oben den Ankömmlingen aus dem Sessel hilft, ist in Hörweite, zuckt aber nur die Schultern. Er hat seine Finger bei diesem Schabernack nicht im Spiel, so viel steht fest. Der überraschende Stillstand des Vorzeigeobjekts findet seine Ursache irgendwo unten beim Restaurant »North Face«. Da nämlich ruht der elektrische Antrieb des Lifts, und der hat offenbar gerade einen Aussetzer.
Während Lambros sitzt und schimpft, weht der sibirische Nordwind mit seinen minus zehn Grad stärker. Die dem Klang nach mit Flüchen und Drohungen versetzten griechischen Worte erreichen kaum noch den Empfänger, der sich ohnehin schon abgewandt hat. Zeitweilig schickt die Sonne jetzt Strahlen auf den Olymp. Die weiße Radarkuppel der Briten, die hier am höchsten Punkt der Insel steht, wird sichtbar. Verharschter Schnee hat ein Weidezaunrelikt in ein glitzerndes Kunstwerk verzaubert, das nun vor dem Betrachter in Pose zu gehen scheint. Ein Snowboarder, der gerade noch vom Sessel sprang, bevor der Lift seinem Namen nicht mehr gerecht werden konnte, steht jetzt abfahrbereit auf dem Buckel. Es knirscht der Schnee. Es knarrt das Brett. Dann gleitet der Mann über eine Glatze des Berges auf den nächsten Pinienwald zu. Das Kratzen seines Snowboards wird leiser. Nebelschwaden verschlucken den Wintersportler, bis er ein paar Minuten später unten am Lift steht und wartet.
Mögen die beiden Lifts am »North Face« auch hübsche Namen tragen – Hera und Dias –, mögen die beiden gegenüber auf der anderen Seite des Olymps im Sun Valley sogar Aphrodite und Hermes heißen, die Freude des Skifahrers am Hinuntergleiten fällt fast noch in den Bereich des Sekundenglücks. Es sind wenige Minuten, dann ist selbst der langsamste Fahrer mit noch so vielen Bögen, die er schwingt, am Ende der Piste angelangt. Von neun bis sechzehn Uhr dauert das Vergnügen, dann kommen die beiden Pistenraupen und ebnen das zerfurchte Schneerelief für den nächsten Tag.
Es ruckelt. Die Stromversorgung ist wieder intakt. Lambros schwebt die verbleibenden drei Meter im Sessel und hat endlich festen Boden unter den Skistiefeln. Und als wollte der Berg sich entschuldigen und einen der in der Skiwelt bekanntesten Söhne des Olymps wieder gnädig stimmen, öffnet er die Wolkendecke. Lambros hat heute keine Skier dabei. Er nimmt den nächsten Sessel und fährt wieder zur Talstation hinab. Lambros, der gern von den Vorbereitungen auf Olympia in Innsbruck erzählt und vom Hotel in Garmisch-Partenkirchen, in dem die Mannschaft wohnte, ist auch zufrieden mit der Anschaffung der Pistenraupen. Was für eine feine Technik, lobt er die Schneeplanierer.
Der Blick aber, der sich nun den Sesselsitzern eröffnet, ist geradezu göttlich. Er fällt auf die mit Schnee schwer beladenen Kiefernbäume, über die weißen Nachbarberge hinaus auf tiefer liegende Hügel ohne Schnee und verliert sich dann im Dunst der Unendlichkeit. Skifahren und Baden gehen – um Ostern herum bietet Zypern diese Möglichkeiten gleichzeitig. Das Mittelmeer liegt eine Autostunde von hier entfernt und hat dann meist achtzehn Grad Wassertemperatur zu bieten.
Lambros’ Mobiltelefon klingelt. Er nestelt es aus der Innentasche, nachdem er einen Handschuh zwischen die Zähne geklemmt hat. »Das Fernsehen ist dran«, meint er knapp, jedenfalls redet der
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