Lesereise Zypern
ihrem Leben hatte die Tochter des Zeus festen Boden unter den Füßen. Wer sich hier hinsetzt oder gar ins Wasser wagt, was wegen der Strömung zwischen den Felsen ein böses Unterfangen ist, kann die Schöne aus dem Meer flüstern hören. Kein Wunder, dass sich Liebespaare an dieser Stelle ewige Treue schwören. Gerade haben Elena und Pawel mit schwarzer Farbe ihre Namen auf einen Stein dicht am Wasser gemalt und ihr Hochzeitsdatum dazugesetzt. Im nahen Gebüsch hängen Hunderte weißer Tücher und wehen gute Wünsche in die Ewigkeit.
Von Pétra tou Romioú, dem »Stein des Römers«, ist es nicht weit bis zum Tempel der Aphrodite in Koúklia. Schon seit der ersten Besiedlung steht an der Stelle ein konischer Stein als Heiligtum. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Areal mit Säulen und Hallen zu einem ansehnlichen Refugium. Aus römischer Zeit stammt das Mosaik »Leda und der Schwan«. Die Römer nutzten den Aphrodite-Ort zeitweise auch, um hier ihr Orakel zu befragen, das immer Rat wusste. Auch die Römer glaubten, dass die Liebesgöttin gleich hier in der Nähe aus dem Meerschaum stieg. Bei ihnen hieß sie allerdings Venus.
Aphrodite wird heute noch in der ganzen Welt geliebt. In der modernen Vorstellung ist sie eine Frau, die alles positiv sieht und sich als äußerst flexibel erweist. Sie ist empathisch, spontan und abenteuerlustig. Ihr Antrieb ist das Vermehren ihres eigenen Ansehens. Sie kostet alle Möglichkeiten des göttlichen und irdischen Lebens voll aus. Sie ist fraglos geschäftlich äußerst erfolgreich in der von Männern dominierten Welt. Wer ihr jedoch auf offener Bühne entgegentritt, muss in der Reaktionsskala von Zorn bis Rache mit allem rechnen. Sie ist es gewohnt, zu siegen.
Das zeigte sich schon sehr eindrucksvoll, als der von König Priamos ausgesetzte Sohn Paris, der unter Hirten aufwuchs, Schiedsrichter spielen sollte. Paris stand zwischen Tannen und Steineichen und blickte aufs Meer. Da kam der Götterbote Hermes vorbei, der drei Göttinnen des Olymp quasi im Schlepptau hatte. Dann leitete er mit huldvollen Worten seine tückische Frage ein: »Zeus selbst hat dich zum Richter bestimmt. Sei ohne Furcht! Dein Amt ist es, zu entscheiden, welche von ihnen die Schönste sei.« Paris war zunächst geschockt, sah sich die drei Frauen genau an, konnte sich aber nicht für eine einzige erwärmen. Hera, Frau des Zeus, war die größte und versprach Paris gleich die Herrschaft über das herrlichste Reich der Erde, wenn er sie erwählte. Pallas Athene, die zweite in der Reihe, versicherte dem Schiedsrichter höchsten Ruhm an Weisheit und edlem Heldentum. Immerhin war sie die Lieblingstochter des Zeus. Odysseus, der Klügste unter den Sterblichen, galt als ihr Liebling. Durch ihre eigene Klugheit lenkte sie die Geschicke der Völker in den Schlachten.
Dann aber kam die Werbeminute von Aphrodite, die bisher nur gelächelt und nebenbei allerdings schon ein Netz von Liebesstrahlen ausgesandt hatte. »Du wirst dich doch nicht durch Geschenke verlocken lassen, die du erst nach unendlichen Gefahren und Mühsalen zu erlangen vermagst«, hauchte sie ihm zu. »Was ich dir geben werde, ist nichts als Glück und Freude: Das schönste Weib der Erde will ich dir als Gemahlin in die Arme führen!«
Da schmolz Paris dahin, geblendet von Aphrodites Zaubergürtel und ihrem makellosen Körper. Sie bekam den goldenen Apfel mit der Aufschrift »der Schönsten!« verliehen, den Hera mitgebracht hatte. Sie und Pallas Athene zischten wütend davon. Paris hatte mit seiner Wahl ohne es zu ahnen die Grundlage für den Trojanischen Krieg gelegt, denn die Unterlegenen fädelten später die Schlacht um die Stadt in Kleinasien ein.
Aphrodite aber ging auf andere Weise in die Geschichte ein. Sie säte Wollust unter den Menschen. Sie schützte alle Liebenden und strafte Verächter der Liebe. Außer dem Apfel waren ihr die Rose und die Myrte geweiht, in der Tierwelt der Sperling und die Taube. In ihrem Gefolge befanden sich ihr Sohn Eros, der ständig Liebespfeile abschoss, was ja bei der Mutter nahe lag, sowie die drei Grazien. Aglaia, Euphrosyne und Thalia sind die Göttinnen der festlichen Freude. Eines Tages aber hörte Aphrodite von einer Frau, die angeblich schöner sei als sie. Deshalb umnebelte sie deren Mann und brachte ihn dazu, eine Nacht mit deren Tochter Myrrha zu verbringen. Als der Gebeutelte merkte, dass er gleichzeitig Vater und Großvater wird, wollte er seine Tochter töten. Doch hier kam wieder Aphrodite
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