Lesley Pearse
gekommen war, fand sie, dass sich sogar ihre Erzählungen von den allabendlichen Dinners bei den Slocums lustig anhörten. Ihre lebhafte Beschreibung der rauen und betrunkenen Goldsucher und der Prostituierten auf den Straßen brachte ihre Zuhörer abwechselnd zum Lachen und Staunen.
Für Matilda schien all das schon lange Zeit zurückzuliegen. Sie konnte sich kaum noch an die Angst erinnern, die sie bei der Einfahrt in den Hafen verspürt hatte, oder an die Demütigung während der abendlichen Dinners. Nur die guten Erinnerungen waren ihr noch klar im Gedächtnis. Indem sie all dies mit ihren Freunden teilte, ihr Lachen hörte und ihre Augen leuchten sah, hatte sie das Gefühl, ihnen etwas gegeben zu haben, das ihre Gedanken von John und den Scherben ihres Familienlebens fortlenkte.
Drei Tage später warteten fünf Männer vor dem Sägewerk, als Matilda dort mit Sidney im Wagen eintraf. Sie hatten alle auf ihre Annonce in der Zeitung reagiert. Cissy hatte nicht mitkommen wollen. »Ich werde ohnehin nur den Mann auswählen, der am besten aussieht«, hatte sie lachend zugegeben. »Außerdem hast du das bessere Gespür für das Geschäft, Matty.«
Matilda vergab den Job schließlich an Mr. MacPherson, den Mann, der ihr eigentlich von allen Bewerbern am wenigsten sympathisch war, denn er war der Stärkste, kannte sich am besten mit Holz aus und war geldgierig genug, den Job in der kurzen Zeit zu erledigen.
Cissy sah verängstigt aus, als Matilda ihr MacPherson später beschrieb, und Sidney war beleidigt, da Matilda angekündigt hatte, nun täglich selbst mit ins Sägewerk zu gehen.
»Aber warum?«, fragte er. »Ich kann mich doch um alles kümmern.«
»Ich komme nicht, um dich zu kontrollieren«, versicherte sie schnell, erschrocken, dass sie seine Gefühle verletzt haben könnte. »Ich brauche dich, damit du jede Ladung kontrollierst und sicherstellst, dass die Stämme den richtigen Umfang und die exakte Länge haben. Aber ich muss auf MacPherson aufpassen. Ich kenne diese Sorte Mann. Ich könnte schwören, er sucht schon nach Wegen, Holz für sich selbst auf die Seite zu schaffen. Und wir wollen doch nicht, dass er herausfindet, wer unsere Geschäftspartner sind, oder eine Vorstellung davon bekommt, wie viel Profit wir letztendlich machen werden. Sonst verschwindet er nach Kalifornien und heimst die nächsten Aufträge selbst ein. Du bist einem Schurken wie ihm noch nicht gewachsen!«
»Und du glaubst, du würdest im Ernstfall mit ihm fertig werden?« Cissy grinste frech.
Matilda lachte. »Du vergisst immer, dass ich mit Leuten wie ihm aufgewachsen bin. Also, wirst du hier im Haus auch ohne mich zurechtkommen?«
»Ich denke schon«, entgegnete Cissy, nahm Amelia vom Boden und drückte sie an sich. »Aber ich glaube, Sidney sollte mir einen Laufstall für die Kleine hier bauen. Sie krabbelt so schnell, dass ich eigentlich Augen im Hinterkopf bräuchte.«
Sidneys Stimmung hellte sich sichtlich auf. Er war dankbar, wirklich gebraucht zu werden.
MacPherson war noch tüchtiger, als Matilda erwartet hatte. Am nächsten Morgen wartete er mit drei ähnlich rauen Gesellen auf Sidney und sie. Einer spannte bereits den Ochsen an.
»Wir fahren direkt in den Wald, um dort genügend Bäume zu fällen«, erklärte MacPherson. »Um Zeit zu sparen, schlafen wir dort draußen in Zelten, bis wir das nötige Holz beisammen haben. Danach transportieren wir es Fuhre für Fuhre zum Sägewerk.«
»Wie lange werden Sie brauchen?«, fragte Matilda.
Er zuckte die Schultern. »Vierzehn Tage vielleicht. Am besten, Sie behalten mein Geld bis dahin. Dort draußen gibt es nichts, wofür ich es ausgeben könnte.«
In den kommenden zwei Wochen lebte Matilda in einem Stadium anhaltender Sorge. Sie hatte MacPherson zwar kein Geld vorgelegt, doch der Wagen, der Ochse und Johns Werkzeug waren auch einiges wert. Da sie nicht genau wusste, wo er und die Männer sich aufhielten, konnte sie ihnen nicht nachreiten und ihre Arbeit beaufsichtigen. Wenn sie nun gar nicht in die Wälder gegangen, sondern mit dem Wagen nach Kalifornien gefahren waren? Dann würde es längst zu spät sein, einen anderen Arbeiter zu beauftragen.
Matilda versuchte, all ihre Nervosität und Energie in Arbeit umzusetzen. Sie hackte so viel Holz, dass es sie durch den gesamten Winter bringen würde, und grub ein Stück Land um, das John und Cissy noch nicht bearbeitet hatten. Dort wollte sie neue Obstbäume pflanzen. Nachts betrachtete sie oft ihre Hände und stöhnte.
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