Lesley Pearse
seine Frau sind sehr freundlich. Ich bin sicher, sie könnten es verstehen, wenn wir Ihnen sagen, dass unser Haus nicht angemessen für uns ist.«
Giles seufzte. »Ich glaube nicht, dass ich das Haus kritisieren kann. Ein Geistlicher muss akzeptieren, was sich ihm bietet, das weißt du doch, Lily.«
»Aber ich glaube nicht, dass die Kirkbrights in einem besonders bescheidenen Haus leben. Florence hat eine Köchin und eine Magd erwähnt. Außerdem haben sie eine Kutsche, in der wir morgen gemeinsam einen Ausflug unternehmen werden. Wenn du wirklich nicht nur ein niedriger Assistent, sondern mit dem Reverend gleichgestellt sein wirst, solltet ihr doch vergleichbare Haushalte haben, oder?«
Giles seufzte erneut tief. »Ich vermute, Kirkbright hat privates Vermögen. Wahrscheinlich gehört sein Haus nicht der Kirche, sondern ihm selbst.«
Lily schwieg für einen Moment. In England wurden die Pfarrer nach Größe und Reichtum ihrer Gemeinde bezahlt. Viele Geistliche besaßen private Mittel, um dieses meist magere Gehalt aufzubessern, aber Giles hatte keine solchen Quellen zur Verfügung. Primrose Hill war glücklicherweise eine wohlhabende Gemeinde gewesen, und Lilys sparsames Haushalten hatte ihnen ein gutes Leben ermöglicht. Sie hatte nicht bedacht, dass sich ihre finanzielle Situation in Amerika verschlechtern könnte.
»Bitte suche nicht nach Problemen, Lily«, bat Giles sie. »Morgen nach der Kutschfahrt durch die Stadt werden wir gemeinsam mit den Kirkbrights zu Abend essen und die Gemeinde kennen lernen. Als du einen Pfarrer geheiratet hast, war dir klar, dass du nie Reichtümer besitzen würdest. Aber ich denke, wir sollten beide dankbar für all die Privilegien sein, die mit meinem Beruf einhergehen.«
Lily wusste, dass Giles keine deutlicheren Worte wählen würde, um ihr zu sagen, dass sie ruhig sein und ihr Los im Leben freudig akzeptieren sollte. Sie fragte sich, was er und Reverend Kirkbright heute besprochen hatten und was Giles plötzlich so glücklich gemacht hatte. Allein die Tatsache, dass er es nicht mit ihr teilte, deutete darauf hin, dass es etwas Geheimnisvolles sein musste und deshalb ein weiterer Grund zur Sorge war.
»Ich habe nie bereut, dich geheiratet zu haben, Giles,« versicherte sie mit leiser Stimme. Dies war die Wahrheit, denn sie liebte ihn noch immer wie am Tag ihrer Hochzeit. »Ich wünsche mir nur, dass ich für dich alles sein kann, was du wirklich in einer Ehefrau suchst.«
Giles schaute in ihr kleines, angespanntes Gesicht und versuchte, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal wie früher gelacht hatte. Sie erwiderte seine Zärtlichkeiten schon lange nicht mehr, und ihre Blicke waren oft vorwurfsvoll. Doch sie konnte oder wollte nicht über das sprechen, was sie belastete. War er schuld an ihrer Veränderung? Vielleicht war es einem Geistlichen nicht angemessen, seine Frau zu begehren oder sehnsuchtsvoll an die leidenschaftlichen Nächte der ersten Zeit nach ihrer Hochzeit zurückzudenken? Lily war die einzige Frau, mit der er jemals geschlafen hatte, und die einzige, die er je gewollt hatte, weshalb er keine Vergleiche ziehen konnte. Doch lag vielleicht ein Funken Wahrheit in den Aussagen mancher Männer, die behaupteten, sie würden sich eine Geliebte nehmen, um ihre Frauen nicht belästigen zu müssen? Könnte die Ursache für ihre Unzufriedenheit einfach darin liegen, dass sie wünschte, er würde sie nicht bedrängen? Aber wie sollte er bloß mit ihr über solch heikle Dinge sprechen? Würde ein Gespräch nicht sogar die Kluft zwischen ihnen vergrößern?
»Du bist alles, was ich in meinem Leben brauche, Lily«, antwortete er und umfasste ihren Arm. »Aber bitte versuche, dich nicht vor allem Neuen und Fremden zu verschließen. Unser Leben hier könnte sehr viel besser und lohnender werden als in London. Lass uns gemeinsam danach streben.«
5. K APITEL
I ch finde, es wird höchste Zeit, dass du ein paar eigene Freunde findest, Matty«, erklärte Lily unerwartet, als sie zusammen im Wohnzimmer neue Gardinen anbrachten. »Wir sind jetzt schon drei Monate hier, und es ist nicht gut, dass du überhaupt keinen Spaß hast.«
Matilda stand gerade auf einem Stuhl, den sie auf eine große Holzkiste gestellt hatte, und fiel vor Überraschung beinahe hintenüber. In England hätte ihre Dienstherrin Spaß kaum als wichtig für das Wohlergehen ihrer Bediensteten erachtet, aber seit sie in Amerika waren, hatten sich einige ihrer früher sehr strengen Vorstellungen gewandelt.
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