Letale Dosis
spinnert. So ähnliche Gedanken sind mir in dem Moment auch durch den Kopf geschossen. Ich denke mal, wenn wir ein bißchen rumschnüffeln, werden wir schon rausfinden, ob sie die Wahrheit gesagt hat. Aber«, fuhr sie fort, nachdem sie ihre Zigarette mit dem Schuh ausgetreten hatte, »heute nacht werden wir das nicht mehr klären. Und außerdem bin ich zu müde, um mir noch lange Gedanken darüber zu machen. Wir sehen uns morgen früh. Bis dann.« Sie wollte gerade in ihren Corsa einsteigen, als Hellmers Stimme sie zurückhielt. Er kam auf sie zu, blieb dicht vor ihr stehen und sagte: »Was sagt denn deine Intuition – würdest du ihr einen Mord zutrauen?«
»Keine Ahnung. Sie ist ziemlich undurchschaubar, zumindest im Moment noch. Wer weiß, vielleicht war es doch Selbstmord. Mach’s gut.« Sie setzte sich in ihren Wagen, startete den Motor und fuhr los.
Auch Hellmer machte sich auf den Weg nach Hause, er hielt den linken Arm aus dem geöffneten Seitenfenster. Die Nacht war schwülwarm und sternenklar, kaum noch ein Auto begegnete ihm auf der Sindlinger Straße, die sich zwischen Feldern entlang bis nach Okriftel zog. Links, etwa hundertfünfzig Meter entfernt, zog sich der Main dahin, rechts konnte man bei Tag die sanft geschwungenen Kuppen des Taunus sehen. Es war kurz nach halb eins, als er zu Hause anlangte, er parkte den Wagen vor der Garage, schloß ihn ab und ging ins Haus. Seine Frau Nadine war noch wach, sie lag im Bett, die Beine angezogen und las. Sie blickte auf, als er ins Schlafzimmer kam, sah ihn schweigend an. Er zog sein Hemd und die Hose aus, sie fragte: »Und, was war?«
»Weiß nicht, auf jeden Fall etwas ganz Seltsames. Ich denke, dieSache wird uns mehr Kopfzerbrechen bereiten, als wir uns im Moment vorstellen können. Ich geh nur schnell duschen. Bis gleich.«
Nadine Hellmer sah ihm nach, bis er im Bad verschwunden war, dann las sie weiter. Als er nach zehn Minuten zurückkehrte, legte sie das Buch auf den Nachtschrank, wandte ihm das Gesicht zu.
»Was gibt es denn so Seltsames?« fragte sie.
Frank Hellmer legte sich, nur mit einem Slip bekleidet, aufs Bett. »In Sindlingen ist so ein reicher Typ ziemlich übel verreckt. Und wenn die Hausärztin mit ihrer Vermutung recht behalten sollte, dann hat er sich statt Insulin Schlangengift gespritzt. Der Kerl ist einfach verblutet.«
»Und was glaubst du? War es Selbstmord?«
Hellmer schüttelte den Kopf. »Kaum. Ich hab jedenfalls noch nie davon gehört, daß sich jemand auf derartige Weise umgebracht hat. Außerdem gibt es bis jetzt keinen einzigen Hinweis darauf, daß er irgendeinen Grund gehabt hätte, sich das Leben zu nehmen.«
»Na ja, was soll’s, ich will jetzt schlafen. Kann ich ein bißchen in deinen Arm kommen?«
»Hab ich jemals nein gesagt?« fragte Hellmer grinsend.
Nadine rutschte auf seine Seite, kuschelte sich an ihn und schon wenige Augenblicke später atmete sie tief und gleichmäßig. Bei Frank Hellmer dauerte es etwas länger, bis auch seine Augen zufielen, er hatte einfach das unbestimmte Gefühl, daß hinter dem Tod von Hans Rosenzweig eine Menge Dreck steckte. Und es alles andere als einfach werden würde, seinen Tod aufzuklären. Aber heute nacht wollte er nicht mehr darüber nachdenken, er wollte nur noch schlafen. Es blieben ihm nur wenige Stunden, bis er wieder im Büro sein mußte.
Dienstag, 0.55 Uhr
Julia Durant ging, nachdem sie die Wohnung betreten hatte, an den Kühlschrank, holte die noch halbvolle Dose Bier heraus und trank sie in einem Zug leer. Auf dem Anrufbeantworter war eine kurze Nachricht von Werner Petrol, der sich entschuldigte, sie nicht schon im Laufe des Tages angerufen zu haben, aber er hätte viel Arbeit gehabt und wäre nicht zum Telefonieren gekommen. Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus, wusch sich Hände und Gesicht und putzte sich die Zähne. Sie war müde, aber innerlich aufgewühlt. Sie nahm noch eine Dose Bier, riß den Verschluß auf, stellte sich ans offene Fenster. Kaum mehr ein Geräusch drang von der Straße nach oben, am Himmel waren, obgleich es wolkenlos war, nur wenige Sterne zu sehen. Sie trank in kleinen Schlucken, rauchte eine Zigarette. Seit sie bei der Mordkommission war, hatte sie es schon mit einigen seltsamen Morden und Todesfällen zu tun gehabt, doch was sie an diesem Abend gesehen hatte, gehörte in die Kategorie der äußerst bizarren Fälle. Sie leerte die Dose Bier, stellte sie auf den Wohnzimmertisch, drückte die Zigarette aus. Sie löschte das
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