Letale Dosis
unruhig im Wohnzimmer auf und ab gegangen, schließlich rief sie, obgleich es bereits nach Mitternacht war, eine gute Freundin an, Vivienne Schönau, mit der sie etwaeine Stunde redete. Nach dem Gespräch warf sie einen langen Blick ins Wohnzimmer, knipste das Licht aus, begab sich ins Bad, wusch sich, zog das Nachthemd an und ging ins Schlafzimmer. Sie legte sich ins Bett, das auf einmal viel zu groß für sie war, sie rutschte auf die andere Seite, wo ihr Mann immer geschlafen hatte, vergrub ihr Gesicht in seinem Kissen, dem noch etwas von seinem Duft anhaftete. Sie wollte beten, aber ihr fielen keine Worte ein, gähnende Leere in ihrem Kopf. Sie lag lange wach, drehte sich auf die Seite, und mit einem Mal begann sie zu weinen. Erst bei Anbruch der Morgendämmerung schlief sie ein, wachte aber schon nach zwei Stunden wieder auf. Sie fühlte sich wie gerädert, ihr war übel, ihr Kopf schmerzte. Im Bad erbrach sie zähen, grünen Schleim. Als sie in den Spiegel schaute, glaubte sie, das Gesicht einer alten Frau vor sich zu sehen.
Dienstag, 7.45 Uhr
Hauptkommissar Berger, der Leiter der Mordkommission, war bereits seit einer dreiviertel Stunde im Büro, als kurz hintereinander die Kommissare Kullmer und Hellmer hereinkamen.
»Guten Morgen, meine Herren«, sagte Berger und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Seine Augen waren rotunterlaufen, Schweißperlen standen auf seiner Stirn, es roch nach Alkohol. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah Hellmer an.
»Ich habe gehört, Sie hatten gestern abend zu tun? Erzählen Sie.« Hellmer setzte sich Berger gegenüber, zündete sich eine Marlboro an, inhalierte, blies den Rauch an die Decke. Er schlug die Beine übereinander, zog die Stirn in Falten, sagte: »Tja, das war’n Ding. Kollegin Durant und ich sind nach Sindlingen gerufen worden, wo ein gewisser Rosenzweig an heftigen Blutungen gestorben ist, nachdem er sich angeblich Insulin gespritzt hat. Die Hausärztin meint, es deute alles darauf hin, daß der Mann sichein absolut tödliches Gift gespritzt hat. Mehr kann ich im Augenblick auch nicht sagen, nur so viel, daß zum Glück Professor Morbs Bereitschaft hatte und er die Leiche noch heute nacht untersuchen wollte. Es spricht einiges dafür, daß Rosenzweig sich statt Insulin Schlangengift injiziert hat. Mal sehen, was die Obduktion und die Analyse des Fläschchens ergeben.«
»Selbstmord?« fragte Berger, ohne seine Haltung zu verändern. »Ziemlich unwahrscheinlich. Wer sich umbringen will und sich ein solches Gift verabreicht, der ist nicht ganz klar im Kopf. Aber laut Aussage dieser Dr. Fink, der Hausärztin, und auch von Frau Rosenzweig war der Mann in keiner Weise suizidgefährdet. Er hatte keine lebensbedrohliche Krankheit, es ging ihm finanziell blendend, sie führten eine, wie seine Frau behauptet, glückliche Ehe und auch sonst sind weder irgendwelche physischen noch psychischen Defekte bekannt. Was im Prinzip nur einen Schluß zuläßt, der Mann ist ermordet worden.«
»Haben Sie schon einen Verdacht?«
»Nein, obwohl, es kommen nur sehr wenige Personen in Frage, die das Insulin durch Gift ersetzt haben könnten. Wenn Gift im Spiel war, wohlgemerkt.« Er nahm einen weiteren Zug an der Zigarette, schnippte die Asche in den Aschenbecher, als die Tür aufging und Julia Durant hereinkam.
»Morgen«, murmelte sie und hängte ihre Tasche über den Stuhl, holte eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an.
»Und, schon was von Morbs gehört?« fragte sie.
»Du siehst nicht gerade aus wie jemand, der eine besonders gute Nacht hatte«, sagte Hellmer grinsend.
»Ah, leck mich! Ich hab keine Lust, über meine Nacht zu reden. Hat sich Morbs schon gemeldet oder nicht?«
»Bis jetzt nicht. Aber wir können ja mal anrufen und den neuesten Stand der Dinge erfragen.«
»Ich bitte darum«, sagte die Kommissarin.
Hellmer nahm den Hörer und wählte die Nummer der Rechtsmedizin.Er stellte den Lautsprecher an, damit alle mithören konnten. Ein Kollege von Morbs war am Apparat.
»Hier Hellmer, Mordkommission. Könnte ich bitte mit Professor Morbs sprechen?«
»Einen Moment, ich hole ihn.«
Es dauerte etwa eine Minute, bis Morbs am Telefon war.
»Morbs.«
»Hellmer. Können Sie schon irgend etwas über die Todesursache von Rosenzweig sagen?«
»Das kann ich allerdings. Ich wollte Sie sowieso gleich anrufen. Also, Rosenzweig ist an starken äußeren, vor allem aber inneren Blutungen gestorben. Wir nennen das eine
Weitere Kostenlose Bücher