Letale Dosis
Licht, setzte sich aufs Bett, hielt den Kopf zwischen den Händen, schloß die Augen. Sie dachte daran, daß sie wieder einmal allein würde einschlafen müssen. Seit einem halben Jahr hatte sie einen festen Freund, und obgleich sie sich irgendwann einmal geschworen hatte, niemals eine Beziehung mit einem verheirateten Mann einzugehen, so hatte ihr Werner Petrol nur einmal tief in die Augen zu sehen brauchen, um diesen Schwur zu brechen. Er hatte ein Haus in Eltville, wo auch seine Familie wohnte, aber er besaß auch ein luxuriöses Penthouse in Frankfurt, in dem er sich drei bis vier Tage in der Woche aufhielt. Er war ein angesehener Mann, Chefarzt des St. Valentius Krankenhauses, einer psychiatrischen Klinik in der Nähe von Eltville im Rheingau. Anfang Vierzig, groß, schlank und sportlich, und er hatte jenes Charisma, von demFrauen in der Regel angezogen werden wie Bienen vom Nektar. Sie hatte ihn in
ihrer
Bar kennengelernt, wohin sie immer dann ging, wenn ihr die Decke auf den Kopf fiel und ihr Körper nach einem Mann verlangte. Am nächsten Tag hatte er sie angerufen und sie zum Essen eingeladen, obwohl sie nicht damit gerechnet hatte, jemals wieder etwas von ihm zu hören. Seitdem sahen sie sich regelmäßig, meist abends und nur selten am Wochenende, weil er dann seiner Familie gehörte. Doch nicht mehr lange, wie er seit jenem ersten Essen beteuerte, denn er hatte vor, sich von seiner Frau zu trennen. Als er ihr einmal ein Bild von ihr zeigte, wußte sie, warum. Sie sah aus wie ein biederes Hausmütterchen, mit mindestens zwanzig Kilo Übergewicht und jenem ausdruckslosen Gesicht, das man leicht und gern übersieht. Er hatte ihr erzählt, wie schlimm seine Ehe sei, daß er seine Frau nicht mehr anfassen mochte, andererseits waren da die drei Kinder, die alle noch zur Schule gingen und von denen das jüngste gerade zehn Jahre alt war. Er sagte, eine Trennung würde nicht einfach werden, vor allem, da seine Frau psychisch nicht die stärkste sei und er die Sache deshalb sehr behutsam angehen lassen müsse.
Irgend etwas in Julia Durant wehrte sich gegen diese Beziehung, doch Petrol war ein phantastischer Liebhaber, auch wenn er bisweilen etwas außergewöhnliche Wünsche hatte, und sie hatte seit ihrer Scheidung vor fünf Jahren keine feste Beziehung gehabt, ihr Sexualleben sich auf fünf oder sechs One-Night-Stands im Jahr beschränkt. Die Sache mit Petrol aber war etwas anderes, sie verstanden sich nicht nur im Bett hervorragend, sie gingen auch hin und wieder ins Theater oder in ein Konzert oder bummelten durch die Straßen, und vor allem konnten sie sich prächtig unterhalten. Sie wußte nicht, ob es Liebe war, was sie für ihn empfand, aber es war zumindest Zuneigung. Worüber sie sich immer wieder Gedanken machte, war, weshalb er weiterhin fast jedes Wochenende bei seiner Familie verbrachte, wo er sich doch angeblich von seiner Frau trennen wollte. Sie hatte ihnschon einige Male gefragt und einmal sogar um eine klare Stellungnahme gebeten, doch er brachte jedesmal derart überzeugende Argumente vor, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als ihm zu glauben.
Auch wenn ihr Kopf sagte, Petrol würde sich wahrscheinlich nie von seiner Frau scheiden lassen, so sprach ihr Bauch oder, wie sie es nannte, ihr Unterleib eine andere Sprache. Und insgeheim wußte sie, daß der Tag kommen würde, an dem ihre Beziehung ein Ende haben würde. Aber sie wollte nicht darüber nachdenken, sondern alles auf sich zukommen lassen. Und manchmal dachte sie auch, nicht der Typ für eine feste Partnerschaft zu sein. Ihre erste und einzige Ehe war eine Katastrophe gewesen, sie jung und verliebt, er erfahren und hinter jedem Rock her, und es hatte immerhin sieben Jahre gedauert, bis sie sein wahres Gesicht erkannte.
Morgen würde sie Petrol wiedersehen, sie würden die Nacht miteinander verbringen und ihr Hormonhaushalt würde danach wieder in Ordnung sein. Sie legte sich hin, zog die dünne Bettdecke bis zum Bauch und drehte sich auf die Seite. Für einen Moment dachte sie an Rosenzweig und wie erbärmlich sein Tod gewesen sein mußte, doch dann verdrängte sie diese Gedanken wieder und sagte sich, am Morgen wäre noch genug Zeit, diesen Fall zu behandeln. Sie wälzte sich eine halbe Stunde unruhig von einer Seite auf die andere, selbst die dünne Decke war zu warm. Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, hüllte Schlaf sie ein.
Dienstag, 1.12 Uhr
Marianne Rosenzweig war noch einige Zeit, nachdem die Beamten gegangen waren,
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