Letale Dosis
der beiden Küchenstühle, den linken Arm legte sie auf die Stuhllehne, den andern auf den Tisch. Sie schlug die Beine übereinander, fuhr sich kurz mit einer Hand durchs Haar, schnippte die ausgebrannte Glut in den Aschenbecher.
Rosenzweig, Schönau und jetzt auch noch Hauser
, dachte sie.
Nein, verkehrt, erst Hauser, dann Rosenzweig, dann Schönau. Und vielleicht irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen auch noch Fink
.
Sie hatte das Gefühl, der Mörder oder, was viel wahrscheinlicher war, die Mörderin wollte sich mit Fink Zeit lassen. Sie wollte ihn schmoren lassen, ihn weich kochen, ihn derart in Panik versetzen, bis er den Tod praktisch als eine Erlösung sehen würde.
Fink,
dachte sie weiter,
ist der Schlüssel zu allem. Aber warum zum Teufel sagt er nichts? Warum um alles in der Welt verhalten er und seine Familie sich so zurückhaltend und abweisend? Was haben sie zu verbergen?
Sie rauchte zu Ende, drückte die Zigarette aus. Es war eines der seltsamsten Puzzles, die sie je zusammenzusetzen gehabt hatte. Es war, als würde das Puzzle aus Tausenden winziger Teilchen bestehen, von denen sie bisher nur ganze wenige zusammenhängende gefunden hatte und von denen vielleicht auch ein paar fehlten. Die Opfer gehörten bis jetzt sämtlich der gleichen Kirche an, Rosenzweig und Schönau waren notorische Fremdgänger gewesen, wobei zumindest Vivienne Schönau von der ehelichen Untreue ihres Mannes gewußt zu haben schien. Alle drei waren materiell sehr begütert, gesellschaftlich hoch angesehen,hatten in der Kirche eine hohe Position inne. Ob Hauser eine außereheliche Beziehung gepflegt hatte, war noch nicht bekannt. Doch was war mit Fink? Welche Rolle spielte er in diesem makabren und mysteriösen Spiel? Und was war mit seiner Frau und seinen Kindern?
Julia Durant fühlte sich auf einmal so hilflos, sie schüttelte den Kopf.
Und wer ist diese Frau,
dachte sie weiter,
die auf eine derart grausame, aber zugleich subtile und fast schon bewundernswerte Weise tötet? Was bringt sie dazu, Männer, die zwar offensichtlich nicht perfekt, aber allem Anschein nach auch nicht absolut böse sind, zu ermorden? Was ist ihr Motiv?
Sie fuhr sich ein weiteres Mal mit gespreizten Fingern durchs Haar, schloß die Augen.
Und wie war das Gift in Rosenzweigs Haus gelangt? Hatte es Rosenzweig selbst mitgebracht, im guten Glauben, es handele sich um das für ihn so lebensnotwendige Insulin? Oder war es doch seine eigene Frau gewesen? Aber dann hätte Frau Rosenzweig auch ein Verhältnis mit Schönau haben müssen, und vielleicht sogar eines mit Hauser.
Durant lachte kurz auf, sagte zu sich selbst,
nein, diese Theorie ist einfach unmöglich, sie paßt so ganz und gar nicht zu dieser kleinen, ergebenen Frau, die auf eine gewisse Weise sogar liebenswert ist. Außerdem, warum hätte Schönau ein Verhältnis mit ihr haben sollen, wenn er doch zu Hause eine um ein vieles aufregendere Frau hatte?
Nein, um das Puzzle zusammensetzen zu können, fehlten ihr noch viele, wesentliche Bestandteile. Nur, wie konnte sie an diese gelangen, wie konnte sie einen Jürgen oder eine Laura Fink davon überzeugen, endlich etwas von dem preiszugeben, was vielleicht den entscheidenden Hinweis auf den Täter liefern würde?
Sie wußte, sie würde auf diese Fragen heute keine Antwort bekommen, sie hoffte irgendwie auf ein Wunder, doch Wunder gehörten zu den Dingen, die ihr bisher nicht widerfahren waren. Sieseufzte auf, sagte sich,
na ja, womöglich habe ich schon Wunder erlebt, ich habe sie nur nicht gesehen. Tja, Papa, du hast mir oft genug gesagt, daß nur der die Wunder nicht sieht, der mit geschlossenen Augen durch die Welt läuft. Ich brauche doch nur einen Anhaltspunkt. Nur einen winzigen Anhaltspunkt!
Sie stand auf, ging zum Küchenschrank, holte eine Schale heraus, die Cornflakes, Zucker und Milch und einen Löffel und stellte alles auf den Tisch. Sie brühte sich einen Kaffee auf, begann zu frühstücken. Zu viele Gedanken spukten in ihrem Kopf herum, Petrol, ihre eigene Zukunft, die Morde. Die Verschwiegenheit der Familie Fink, die sie nicht verstand, vor allem nicht, nachdem Fink selbst zwei eindeutige Morddrohungen erhalten hatte. Nach dem Frühstück räumte sie den Tisch ab, stemmte die Hände in die Hüften, sah sich in der Wohnung um. Es war das blanke Chaos, sie erneuerte den Entschluß von gestern, heute ihr kleines Reich in einen vorzeigemäßigen Zustand zu bringen. Sie zog sich eine blaue Jogginghose und ein T-Shirt über,
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