Letale Dosis
informieren?«
Julia Durant überlegte, fuhr sich mit einem Finger über den Nasenrücken. »Laura, ja. Ihn will ich vorläufig nicht dabei haben …«
»Und warum nicht?« fragte Hellmer verständnislos.
»Ich habe meine Gründe. Warte hier, ich hole Laura.«
Sie lief mit schnellen Schritten zum Gemeindehaus, fragte einen jungen Mann, wo sich die Frauen versammelten. Er deutete auf eine Tür am Ende des langen Ganges. Julia Durant begab sich dorthin, öffnete vorsichtig die Tür, sah hinein. Sie konnte Laura Fink nirgends entdecken, fragte eine der Anwesenden leise, wo sie zu finden war. Sie wurde in den Keller geschickt, wo sich weitere Versammlungsräume befanden. Laura Fink war gerade damit beschäftigt, eine Gruppe von sechzehn- und siebzehnjährigen zu unterrichten.
»Frau Fink«, sagte Durant leise. »Könnte ich Sie bitte einen Moment sprechen?«
Laura Fink zog die Stirn in Falten, sagte zu den Jugendlichen: »Ich bin gleich zurück«, und trat auf den Flur.
»Ich habe Sie gar nicht gesehen. Waren Sie schon zu Versammlungsbeginn da?«
»Ja, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich habe eben einen Anruf von der Polizei erhalten. Es geht um Ihren Bruder. Ich möchte Sie bitten, mit meinem Kollegen und mir zu der Wohnung Ihres Bruders zu fahren.«
»Geht es um Jürgen?«
»Ja, leider.«
»Was ist mit ihm?« fragte Laura Fink nervös und pulte an der Haut ihres rechten Daumens herum, bis es blutete. Sie musterte die Kommissarin eindringlich und ängstlich zugleich.
»Er hat sich offensichtlich das Leben genommen. Es tut mir leid.«
Von einem Moment zum nächsten war jegliche Farbe aus dem Gesicht von Laura Fink gewichen. Sie stammelte: »Ich sage nur kurz meinen Schülern Bescheid«, kam gleich darauf zurück, sagte, während sie die Treppen hinaufstiegen: »Und was ist mit meinem Vater und meiner Mutter? Sie sollten auch …«
»Nein, ich möchte das jetzt nicht. Und fragen Sie mich bitte nicht, warum, ich habe meine Gründe dafür. Fahren Sie mit uns oder nehmen Sie Ihren eigenen Wagen?«
»Ich fahre selbst«, sagte Laura Fink mit tonloser Stimme.
Es war Viertel vor zehn, der Himmel war wieder von einer dicken Wolkenschicht bedeckt, als sie losfuhren. Während der Fahrt sagte Hellmer nur: »Warum hat er sich ausgerechnet jetzt umgebracht?«
»Wir werden es hoffentlich bald wissen«, erwiderte Durant lakonisch. Den Rest des Weges schwiegen sie.
Sonntag, 10.05 Uhr
Zwei Streifenwagen und ein Notarztwagen standen vor dem Haus Nummer zwölf in der Straße im Heisenrath. Eine sensationsgeile, gaffende Menge hatte sich um die Absperrung versammelt, ein paar der Umstehenden tranken Bier oder Schnaps, einige wenige machten aber auch einen betroffenen Eindruck. Durant, Hellmer und Laura Fink bahnten sich einen Weg durch die Gaffer, wiesen sich aus, standen mit einem Mal vor der Stelle, wo Jürgen Fink aufgeschlagen war. Dort, wo der Leichnam gelegen hatte, war mit Kreide die Stellung der Leiche auf den Stein gezeichnet worden, eine große Lache allmählich trocknenden Blutes hatte sich über den Boden verteilt. Laura starrte den Fleck wie hypnotisiert an.
»Mein Gott, warum hast du das zugelassen?« flüsterte sie so leise,daß kaum einer sie hören konnte. »Mein Gott, warum Jürgen? Warum ausgerechnet er?«
»Wer hat mich angerufen?« fragte Julia Durant und sah die Beamten der Schutzpolizei an. Ein etwa einsneunzig großer, kräftiger Mann, der etwa in Bergers Alter sein mußte, kam auf Durant zu.
»Das war ich. Ihre Karte lag auf dem Wohnzimmertisch, und ich dachte …«
»Schon gut. Und danke, daß Sie mich verständigt haben. Gute Arbeit. Wann ist es passiert?«
»Wir erhielten um neun Uhr zweiundzwanzig einen Anruf der Zentrale und sind sofort hergefahren. Er ist, wie zwei junge Frauen einstimmig sagen, gegen Viertel nach neun gesprungen. Er hat auch einen Abschiedsbrief hinterlassen, den wir auf dem Wohnzimmertisch gefunden haben. Er ist an Sie persönlich adressiert.«
»Wo sind die beiden Frauen?«
»Dort vorn an der Tür. Die beiden Dunkelhaarigen.«
»Gut, wir werden uns gleich mit ihnen unterhalten. Vorher möchte ich Sie aber noch bitten, eine Blutprobe des Toten nehmen zu lassen, ich will wissen, ob er Drogen oder Alkohol zu sich genommen hat, bevor er gesprungen ist.«
Julia Durant und Hellmer begaben sich zu den Frauen, die an die Tür gelehnt standen und rauchten. Die eine der beiden, die nicht älter als zwanzig Jahre zu sein schien und sehr gepflegt wirkte, zitterte,
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