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Letale Dosis

Letale Dosis

Titel: Letale Dosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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der Woche besuche ich sie, und jedesmal bricht es mir das Herz, wenn ich sie so dasitzen sehe, diese junge und doch so uralte Frau … Schon mal was vom Korsakow-Syndrom gehört? Im leichteren Fall verliert man das Kurzzeitgedächtnis, in den seltenen, schweren Fällen jedoch das gesamte Erinnerungsvermögen. Dazu kam noch ein Schlaganfall, der ihr den Rest gegeben hat. Als ich sie das erste Mal sah, vor etwa fünf Jahren, war sie sturzbetrunken. Ich habe sie zur Entgiftung in eine Klinik gebracht, aber sie konnte sich nicht an mich erinnern. Sie wußte nicht einmal mehr, daß sie eine Tochter zur Welt gebracht hatte, sie hat mich nur verständnislos angeschaut, eine Fremde, die mit mir nichts anfangen konnte.
    Sie war siebzehn, als sie von dir schwanger wurde. Und sie war etwa achtzehn, als sie zur Flasche griff. Unschuldige achtzehn Jahre. Trinken und Tabletten, Schnaps und Rohypnol, eine verheerende, eine tödliche Mischung. Dreißig Jahre lang saufen und Tabletten schlucken, nur um zu vergessen. Was für ein elendes Leben. Sie wußte nicht, wo man mich nach meiner Geburt hingebracht hatte, aber ich werde es dir sagen,
Vater
!« zischte sie wie eine Giftschlange, strich mit der Nadel über seinen Hals, er zuckte zusammen.
    »Ich kam in ein Waisenhaus, eines dieser netten katholischen Häuser, in denen Nonnen herrschen. Eigentlich sollte man meinen, in einem katholischen Heim regieren Liebe und Verständnis … Ja, sollte man meinen. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Wenn wir nicht den Teller leer aßen, wurden wir geschlagen. Haben wir während des Essens gesprochen, mußten wir vierundzwanzig Stunden hungern. Wenn wir ein falsches Wort zum ungeeigneten Zeitpunkt gesagt haben, setzte es Prügel. Auf die Finger, ins Gesicht, auf den nackten Hintern. Egal, was wir taten, es gab immer einen Grund, uns zu bestrafen. Und weißt du, was diese schwarzen Hexen uns gesagt haben, warum sie uns bestraften? Sie haben gesagt, wenn wir gute Menschen werden wollten, müßten wir zu jeder Sekunde die Regeln in diesem Heim befolgen. Gott würde jeden unserer Schritte genauestens beobachten, und sie wären die Stellvertreterinnen Gottes auf Erden. So einfach war das.
    Die Krönung der Geschichte kommt aber noch. Als ich neun war, wurde ich zum Hausmeister bestellt. Drei Jahre lang wurde ich jede Woche mindestens einmal zum Hausmeister bestellt, weil irgendwelche Jungs aus dem Heim sich ein paar Mark verdienten, indem sie uns Mädchen an ihn verkauften. Ich weiß nicht, ob die schwarzen Hexen davon wußten, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon. Aber egal, auf jeden Fall ist dann etwas Seltsames passiert – ein nettes Ehepaar ist gekommen und hat mich adoptiert. Und ab da hatte ich den Himmel auf Erden. Ich durfte die Hölle verlassen und endlich ein Mensch sein. Sie gaben mir ihren Namen, ich hatte ein eigenes, großes Zimmer, ich habe mein Abi gemacht und studiert. Aber nie in all den Jahren habe ich aufgehört, an meine Mutter und meinen Vater zu denken. Was sie wohl machten, warum sie mich weggegeben hatten. Ich hab mir die Antworten selber gegeben, hab mir gesagt, sie waren vielleicht so arm, daß das Geld nicht für drei reichte. Oder meine Mutter war allein undnicht stark genug, mich großzuziehen. Ich fand so viele Gründe, aber da war auch Haß, Haß, daß sie mir das angetan hatten. Seit ich achtzehn war, habe ich nach meinen Eltern gesucht. Und es hat fast zwölf Jahre gedauert, bis ich wenigstens den Namen meiner Mutter herausfand. Und dann war es nicht schwer, sie zu finden. Den Rest kennst du ja. Und bei meinen Recherchen stieß ich zwangsläufig auf dich. Auf dich und deine Kumpane. Jeder von euch mit so viel Dreck am Stecken, daß es für ganz Frankfurt reichen würde!« sagte sie zynisch. »Aber du bist der schlimmste von allen. Du hast zeit deines Lebens mit den Menschen nur gespielt. Du hast sie ausgenutzt, sie mißbraucht und mißhandelt. Du, der große Karl-Heinz Fink! Was meinst du, gibt es einen Gott? Wenn ja, dann gibt es auch einen Teufel. Was glaubst du, wo du hinkommst, wenn du abtrittst? In den Himmel oder in die Hölle?«
    Fink wollte sich umdrehen, doch die Spritze an seinem Hals ließ keine Bewegung zu.
    »Hör zu«, sagte er mit zittriger Stimme. »Ich will es dir erklären. Das mit deiner Mutter wußte ich nicht, das schwöre ich. Ich hatte doch keine Ahnung, daß sie …«
    »Daß sie was?«
    »Sich so gehenlassen würde …«
    »Hatte sie eine andere Wahl? Sie

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