Letale Dosis
eine Mörderin.«
Marianne Rosenzweig nickte nur müde, verzog den Mund zu einem undefinierbaren, apathischen Lächeln. »Natürlich bin ich die Hauptverdächtige, das weiß ich selbst. Sie haben meine Fingerabdrücke, wer sonst sollte in diesem Haus außer mir und meinen Söhnen Zugang zum Arbeitszimmer meines Mannes haben, wer außer mir kommt überhaupt in Frage? Ich bin mir durchaus bewußt, daß ich schlechte Karten habe.« Sie hielt inne, nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, behielt die Tasse in der Hand. »Aber ich war es nicht. Ich hätte so etwas nie gekonnt. Wissen Sie, ich habe Hans geliebt, auch wenn ich ihm diese Liebe vielleichtzu selten gezeigt habe, oder auf eine andere Weise, als er es sich vorgestellt hat.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Julia Durant.
Marianne Rosenzweig seufzte auf, schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, ich hätte ihm eigentlich noch so viel zu sagen gehabt, aber das wirklich Wichtige schiebt man immer weiter vor sich her, und dann ist es auf einmal zu spät und man kann das, was man sagen oder tun wollte, nicht mehr sagen oder tun. Ich war bestimmt keine sonderlich gute Ehefrau, zumindest nicht die Ehefrau, wie sie sich die meisten Männer wünschen – Heilige und Hure in einem. Ich war keine Heilige, und schon gar keine Hure. Nicht einmal für ihn. Obwohl ich genau wußte, welche Bedürfnisse er hatte.«
Julia Durant hatte sich das Gespräch schwieriger vorgestellt, hatte nicht gedacht, daß Marianne Rosenzweig so offen mit ihr sprechen würde.
»Was meinen Sie, was für Bedürfnisse hatte er Ihrer Meinung nach?«
Frau Rosenzweig blickte zur Seite, ein paar Tränen lösten sich aus ihren Augen und liefen ihr über die Wangen. Es dauerte einen Moment, bis sie weitersprechen konnte, sie nahm ein Taschentuch, wischte die Tränen ab, schneuzte sich kaum hörbar. »Wissen Sie, ich bin in einem Elternhaus groß geworden, in dem Keuschheit und Anstand und Sittlichkeit sehr groß geschrieben wurden. Nicht einmal das Wort Sexualität durfte in den Mund genommen werden, dieses Wort allein hatte schon etwas Verwerfliches an sich. Wenn einer meiner Brüder oder meine Schwester oder ich ein schlimmes Wort sagten, wurde uns im wahrsten Sinne des Wortes eingeprügelt, nie wieder so etwas zu sagen. Unsere Sprache habe rein und ehrfürchtig zu sein – aber die Schläge waren es nicht, obgleich ich sie noch heute manchmal zu spüren glaube. Und dann lernte ich als junges Ding, ich war noch nicht einmal achtzehn, Hans kennen, einen Mann, derbereits eine Ehe hinter sich hatte. Er hatte etwas an sich, das mich von Anfang an faszinierte. Seine Ruhe und seine Gelassenheit, ich habe mich bei ihm einfach geborgen gefühlt. Wir haben geheiratet, als ich neunzehn war, gegen den Willen meiner Eltern, für die Hans viel zu alt war. Nun, ich habe versucht, ihm das zu geben, was er sich wünschte, aber ich habe es nie geschafft. Ich habe ihm zwar zwei Söhne geboren, doch im sexuellen Bereich hat es bei uns zu keiner Zeit gestimmt. Und ich weiß, er war unzufrieden damit, auch wenn er mich das nie spüren ließ. Und manchmal habe ich mich tatsächlich gefragt, ob er nicht irgendwo eine Geliebte hatte«, sie lächelte auf einmal und wirkte so zart und zerbrechlich, daß Julia Durant sie am liebsten in den Arm genommen hätte. »Ja, Sie haben mir diese Frage vorgestern gestellt und ich habe darauf geantwortet, niemals … Aber ich wußte die ganze Zeit über, daß er seine sexuelle Aktivität unmöglich vergraben haben konnte. Ich weiß nicht, ob er eine Geliebte hatte, ich hätte es auch nicht wissen wollen, es hätte einfach mein Weltbild zerstört, und ich wollte weiter in meiner kleinen, beschränkten Welt leben. Ich weiß nur eines, Hans war kein schlechter Mensch. Er war immer gut zu mir und zu den Kindern.«
»Hat Ihr Mann Ihnen denn jemals gezeigt, daß er sich mehr von Ihnen wünschte?«
»Nicht direkt. Er hat ein paarmal versucht, meine körperlichen Blockaden zu durchbrechen, aber es ist ihm nicht gelungen. Ich denke, mir ist dadurch vieles entgangen. Ich meine damit viele schöne Dinge.«
»Frau Rosenzweig, haben Sie irgendeinen Verdacht, wer Ihrem Mann statt Insulin Schlangengift in die Flasche getan haben könnte?«
»Das ist es ja, ich zermartere mir seit vorgestern abend ununterbrochen den Kopf darüber, doch ich komme zu keinem Ergebnis. Sosehr ich mich auch drehe und wende, ich finde niemanden,dem ich so etwas zutrauen würde. Und deswegen werde ich wohl am Ende auf der Strecke
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