Letale Dosis
gelangte in den Vorraum, wo eine junge Frau saß, die telefonierte. Sie blickte kurz auf, Julia Durant blieb vor dem Tresen stehen. Nach dem Gespräch fragte die junge Frau: »Ja, bitte?«
»Durant. Ich würde gerne Frau Dr. Fink sprechen.«
»Haben Sie einen Termin?« fragte die junge Frau, die, wie Durant vermutete, sicher zwanzig Kilo Übergewicht hatte, dabei aber nicht unansehnlich wirkte.
»Nein. Ich bin von der Kripo Frankfurt und …«
»Ach so, es geht wohl um die Fälle Rosenzweig und Schönau. Die Frau Doktor ist aber im Moment leider beschäftigt.«
»Trotzdem würde ich gern kurz mit ihr sprechen. Fünf Minuten, nicht länger.«
»Einen Augenblick bitte«, sagte die junge Frau mit einem leicht pikierten Gesichtsausdruck und betätigte einen Knopf der Sprechanlage. »Hier ist eine Dame von der Polizei und möchte Sie sprechen …«
»Soll warten, bis ich mit dem Patienten fertig bin.«
»Sie können solange im Wartezimmer Platz nehmen, Frau Doktor wird sich gleich um Sie kümmern.«
»Danke«, sagte Julia Durant und setzte sich ins Wartezimmer, in dem sich außer einer älteren Frau, die ihr keine Beachtung schenkte, niemand aufhielt. Sie nahm ein aktuelles Frauenmagazin vom Tisch und blätterte darin, ohne wirklich hineinzuschauen. Es war angenehm kühl in dem Zimmer, leise Musik spielte aus versteckten Lautsprechern. Das Fenster war geöffnet und gab den Blick auf einen großen Garten frei, der aus einer kleinen Rasenfläche und vielen Blumenbeeten, Sträuchern und Bäumen bestand. Durant erhob sich, legte die Zeitschrift zurück, stellte sich ans Fenster. Sie ließ ihren Blick über den Garten schweifen, atmete die frische, von den Bäumen gefilterte Luft ein, drehtesich wieder um, betrachtete das Wartezimmer. Außer zwei hohen Grünpflanzen gab es nur fünf Stühle, einen Tisch und einen Garderobenständer, doch die Einrichtung bestand aus feinstem Holz. Sie blieb am Fenster stehen, die Hände auf die Fensterbank gestützt, und wartete. Nach etwa zehn Minuten erschien Laura Fink, sie trug eine leichte Sommerjeans, Turnschuhe und eine blaue Sommerbluse. Sie wirkte ernst, sah die Kommissarin an, sagte: »Kommen Sie bitte mit, aber ich habe nicht viel Zeit.«
Julia Durant folgte ihr ins Sprechzimmer, das anders eingerichtet war als die Sprechzimmer der Ärzte, die sie bisher kennengelernt hatte. Auch hier helle Naturholzmöbel, selbst der Medikamentenschrank bestand aus diesem Material. Es war ein freundlicher, großzügiger Raum, der nichts von der Sterilität und Unpersönlichkeit anderer Arztpraxen hatte. Laura Fink nahm hinter ihrem Tisch Platz und deutete wortlos auf einen Stuhl. Nachdem die Kommissarin sich gesetzt hatte, sagte Laura Fink: »Was verschafft mir die Ehre?«
»Nur ein paar Fragen. Es dauert auch nicht lange. Wir wissen jetzt genau, wie Schönau umgekommen ist.«
»Na, da bin ich aber neugierig«, sagte Laura Fink und lehnte sich zurück.
»Wie gut kennen Sie sich wirklich mit Giften aus?« fragte Julia Durant und sah die Ärztin an.
»Ich denke, diese Frage habe ich Ihnen bereits gestern abend beantwortet. Aber«, sagte sie weiter und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, »wie ist er denn umgekommen? War es
Conotoxin
?«
»Es war
Conotoxin
.« Die Kommissarin machte eine Pause und sah ihr Gegenüber an. Laura Fink wirkte entspannt, erwiderte den Blick gelassen. »Frau Fink, mich würde interessieren, wie Ihre Tätigkeit als Ärztin aussieht. Draußen steht, Sie sind praktische Ärztin und darunter Naturheilverfahren.«
Laura Fink lächelte beinahe gönnerhaft, bevor sie antwortete: »Das eine schließt doch das andere nicht aus, oder? Man mußnicht jedes Wehwehchen und jede Krankheit mit harten Bandagen bekämpfen, es gibt auch eine sogenannte sanfte Medizin. Und ich behalte mir vor, die Mittel zu verabreichen, die ich für angemessen halte. Es ist von Fall zu Fall verschieden. Natürlich gibt es Patienten, die der Meinung sind, nur die wirklich harten Kampfmittel, wie ich sie nenne, könnten ihnen helfen, wobei sie nicht sehen, daß solche Mittel meist mehr Schaden anrichten, als Gutes zu bewirken …«
»Es gibt doch aber Krankheiten, die …«
»Natürlich gibt es die. Einen Patienten, der mit Krebs oder einem schweren Herzfehler zu mir kommt, werde ich selbstverständlich nicht mit Naturheilmitteln behandeln, es sei denn, er besteht unter allen Umständen darauf. Und ich hatte schon Fälle, in denen auch bei Krebs sanfte Medizin ihre Wirkung nicht verfehlt hat.
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