Letale Dosis
was?«
Rita Jung zögerte einen Moment, sagte schließlich: »Die Religion weniger, oder sagen wir besser, das Evangelium. Es ist wahr und unumstößlich. Aber es ist ein Trauerspiel zu sehen, was die Menschen daraus machen. Doch ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen. Ich bin zwar noch Mitglied, aber nur auf dem Papier. Auch wenn ich immer wieder bedrängt werde, doch in den warmen Schoß der Kirche zurückzukehren, so konnte mir bis jetzt keiner einen plausiblen Grund nennen, der mich umgestimmt hätte.«
»Dann waren Dr. Schönau und Sie nicht nur beruflich miteinander verbunden, sondern auch kirchlich, wenn ich das recht verstehe. Erzählen Sie mir doch bitte etwas über Dr. Schönau, ich möchte mir einfach ein klares Bild von ihm machen.«
»Warum fragen Sie nicht seine Frau Vivienne? Sie kennt ihn mit Sicherheit viel besser als ich.«
»Nun, ich habe seine Frau gefragt, und ich frage Sie. Ein Bildkann ich mir erst machen, wenn ich mit mehreren Personen gesprochen habe. Also, was für ein Mensch war er?«
»Er war ein korrekter, gradliniger Mann, der seine Meinung sehr deutlich zu vertreten wußte. Sowohl hier in der Bank als auch in der Kirche. Er war kein sonderlich umgänglicher Mensch, er hatte seine Ecken und Kanten. Wenn man aber wußte, wie man ihn zu nehmen hatte, konnte man mit ihm klarkommen.«
»Und Sie wußten es?« fragte Julia Durant.
»Ich denke schon.«
»Sie sind verheiratet?«
»Ich war verheiratet. Mein Mann hat sich vor vier Jahren von mir getrennt. Ich wollte es nicht, aber es ließ sich nicht vermeiden. Tja, so ist das Leben.«
»Gehört Ihr Exmann auch der Kirche an?«
»Ja, er ist ein überzeugtes Mitglied. Genau wie Schönau es war«, sagte Rita Jung mit undefinierbarem Lächeln. »Und Rosenzweig übrigens auch. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden?«
»Es könnte sein, aber eine genaue Antwort kann ich Ihnen dazu noch nicht geben. Frau Jung, können Sie sich vorstellen, wer einen Grund gehabt haben könnte, Dr. Schönau umzubringen?«
Wieder war dieses seltsame Lächeln in ihrem Gesicht, das Julia Durant nicht zu deuten wußte. »Es muß wohl einen Grund gegeben haben, sonst hätte der- oder diejenige es nicht getan. Ich denke, jeder Mensch hat gewisse Seiten an sich, weswegen er umgebracht werden könnte. Aber um auf Ihre Frage zu antworten – mir fällt konkret niemand ein. Aber sagen Sie, wie ist er überhaupt umgebracht worden?«
»Auch diese Frage kann ich Ihnen im Moment leider nicht beantworten. Wir stecken noch mitten in den Untersuchungen.«
»Er ist also nicht erschossen oder erstochen worden?«
»Nein, weder das eine noch das andere. Haben Sie Kinder?«
»Eine Tochter. Sie lebt allerdings bei ihrem Vater. Warum wollenSie das wissen?« Julia Durant registrierte, wie sich der Körper von Rita Jung für Sekundenbruchteile anspannte.
»Reine Neugier. Gab es jemals ein Fehlverhalten von Dr. Schönau Ihnen gegenüber?«
»Wenn Sie mir Fehlverhalten genauer definieren würden, könnte ich Ihnen unter Umständen eine Antwort darauf geben.«
»Gab es zum Beispiel Situationen, in denen er sich unangemessen verhalten hat?«
»Unangemessen, was meinen Sie damit?«
»Ach, kommen Sie, Sie wissen doch, was ich meine. Hat er sich Ihnen jemals in ungebührlicher Weise genähert? Hat er Sie jemals sexuell belästigt?«
»Nein«, kam es wie aus der Pistole geschossen. »Er hat sich mir nie in ungebührlicher Weise genähert.«
»Das war’s schon, Frau Jung. Ich bedanke mich und wünsche noch einen angenehmen Tag. Moment, eine Frage habe ich noch – arbeiten hier außer Ihnen noch mehr Personen, die der Kirche angehören?«
»Ich bin, beziehungsweise war, außer Schönau die einzige.«
Auf dem Flur blieb Julia Durant stehen, lehnte sich gegen die Wand. Sie atmete ein paarmal tief ein und wieder aus. Schließlich lenkte sie ihre Schritte zum Büro von Schönau. Frau Bergmann, seine Sekretärin, war inzwischen eingetroffen. Sie stand mitten im Raum, wirkte völlig verstört.
»Frau Bergmann?« fragte die Kommissarin und trat näher.
»Ja, bitte?« Ihre Stimme zitterte.
»Durant, von der Kripo. Ich sehe, Sie haben inzwischen erfahren, was passiert ist. Können wir uns unterhalten?«
»Ja, natürlich, nehmen Sie Platz. Es ist furchtbar, einfach furchtbar. Er hatte doch gestern Geburtstag! Wer macht nur so etwas Schreckliches? Was geht nur in den Köpfen dieser kranken Menschen vor?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß irgendwer Dr.
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