Letzte Ausfahrt Neckartal
dass sich das Spezialeinsatzkommando bereits seit einiger Zeit auf der Rastanlage Neckartal aufhielt. Ein weinroter Kleinomnibus mit acht Männern, darunter zwei Präzisionsschützen, parkte zwischen den Reisebussen im hinteren Teil des Parkplatzes. Jeder andere hätte die SEK -Beamten in ihrer legeren, fast nachlässigen Zivilkleidung für Kegelbrüder gehalten, die auf ihrem Osterausflug eine Pinkelpause einlegten.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Rastanlage hatten die Kriminaltechniker schon am Vormittag Kowalskis Opel Kadett abgestellt. Er stand hinter der Tankstelle, am gleichen Platz wie in der Tatnacht. Damit das Fahrzeug auf Markovic keinen verlassenen Eindruck vermittelte, saß am Steuer eine komplett bekleidete Schaufensterpuppe mit blonder Perücke im Rasta-Look. Im Innenraum hatten die Männer der KTU einige Kleinigkeiten eingebaut. Über dem Spiegel gab es eine winzige Videokamera und in der Mittelkonsole ein Mikrofon, das durch einen Bewegungssensor ausgelöst wurde.
Alle diese Details hatten Treidler und Melchior erst vor einer Stunde erfahren. In Anbetracht der langen Nacht, die vor ihnen lag, waren sie erst weit nach Mittag zum Dienst erschienen. Ihre Ankunft auf der Raststätte hatte sich noch zusätzlich verzögert, da Treidlers Mercedes nach der Fahrt zur Polizeidirektion partout nicht mehr anspringen wollte. Melchior musste mit ihrem neuen Dienstwagen aushelfen. Gegen fünf Uhr stellte sie den VW Passat einen Steinwurf vom weinroten Kleinbus entfernt ab.
Der Osterverkehr sorgte in Verbindung mit dem warmen Frühlingswetter dafür, dass Massen von Menschen die Rastanlage bevölkerten. Familien mit Körben voll Reiseproviant besetzten die Picknickbänke, Dutzende Kinder rannten über eine nahe Wiese oder tummelten sich auf dem Spielplatz. Dennoch schafften sie es nicht, mit ihrem Geschrei den Lärm der Autobahn zu übertönen. Vorne an der Tankstelle herrschte ein Kommen und Gehen. Es verging keine Minute, ohne dass Autos auf oder von der Rastanlage fuhren. In diesem Durcheinander könnten sie leicht den Überblick verlieren. Treidler hoffte inständig, dass das Gewimmel von Menschen mit Einbruch der Dunkelheit nachließ.
Lukas Brenner, der SEK -Leiter, stellte sich als sportlicher Mittdreißiger heraus. Seine dunklen Haare wechselten an den Schläfen bereits leicht ins Graue. Zugleich jedoch verliehen ihm die feinen Gesichtszüge ein eher jugendliches Aussehen, und durch seine gebräunte Haut glich sein Äußeres einem Südeuropäer. Er war in Jeans und einem offenen Hemd mit weißem Knopfleisten gekleidet. Lediglich die schweren Stiefel wollten so überhaupt nicht zum Freizeit-Look seiner Kleidung passen.
Als Treidler und Melchior sich Brenner vorstellen wollten, erklang aus dem Innern des Kleinbusses der fünftönige Selektivruf eines Funkgerätes. »Hotte fünf an Hotte eins, Posten Einfahrt bereit.«
Brenner murmelte eine Entschuldigung, verschwand kurz im Bus und kam mit einem Funksprechgerät zurück. »Hotte fünf, verstanden«, erwiderte er und steckte das Gerät in ein Etui am Gürtel. »Während des Zugriffs schalten wir natürlich auf die Ohrhörer um. Aber zuerst das hier.« Er zog einen Zettel aus der Brusttasche seines Hemdes. »Jan Schmelzer, Pächter«, las er vor. »Ist der Mann informiert?«
Treidler schüttelte den Kopf. »Schmelzer war gestern nicht zu erreichen. Aber heute Nachmittag sollte er da sein. Wir holen das gleich nach.«
Sie machten sich auf den Weg zum Hauptgebäude der Rastanlage. Im Büro benötigte Treidler einen Augenblick, um zu realisieren, dass es sich tatsächlich um Jan Schmelzer handelte, der hinter dem Schreibtisch hervorkam. Im Gegensatz zum Tag nach dem Mord trug er keinen Anzug, sondern eine schlecht sitzende Jeans und ein ausgeleiertes schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift »Hugo Boss«. Die blond gesträhnten Haare standen ab. Sein unrasiertes Gesicht fiel in Anbetracht des ungepflegten Äußeren kaum auf. Nur Goldkette und Designeruhr befanden sich an ihrem Platz. Sie hatten tatsächlich den Pächter der Raststätte vor sich.
»Guten Tag.« Schmelzer begrüßte die Ankömmlinge in seinem niederrheinischen Akzent.
Treidler stellte Lukas Brenner vor. Er verspürte keinerlei Lust, dem Mann mehr als notwendig zu erklären. Auch ohne Anzug hatte seine Abneigung gegen ihn nicht nachgelassen.
» SEK -Leiter?«, wiederholte Schmelzer und ließ den Mund einen Augenblick offen stehen. »Ihre Kollegen sagten nur, dass die Polizei mich sprechen
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