Letzte Ausfahrt Neckartal
und Geist zermürben. Trotzdem verlangte die latente Bereitschaftshaltung, dass er von einer Sekunde zur anderen einsatzbereit sein musste.
Um sich die Zeit zu vertreiben, gesellten sich Treidler und Melchior zu den restlichen SEK -Beamten, die um ihren Kleinbus standen und sich unterhielten. Im Radio lief die letzte Viertelstunde der Konferenzschaltung zur Fußball-Bundesliga, und es sah ein weiteres Mal so aus, als ob Bayern München sein Spiel gewinnen würde. Auch der SC Freiburg lag bereits weit in Führung und würde seinen hervorragenden Tabellenplatz festigen.
Brenner stellte einen nach dem anderen vor. Die Männer waren blutjung. Außer ihm und einem der Schützen schien keiner älter als dreißig. Trotz ihres jungen Alters machte jedoch niemand einen nervösen Eindruck. Sie unterhielten sich über Fußball und trieben ihre Scherze. Aber vielleicht war das ihre Methode, um mit der Anspannung umzugehen.
Als Treidler genauer hinsah, erkannte er, dass die Beamten trotz der lässigen Zivilkleidung schon Teile ihrer Ausrüstung trugen. Helle, spiralförmige Kabel am Hals deuteten auf einsatzbereite Kopfhörer hin. Außerdem registrierte er bei zweien eine Beule unter dem Hemd, die zweifellos von einem Pistolenholster stammte.
Da ertönte ein weiteres Mal der Selektivruf. Der Lautsprecher von Brenners Funksprechgerät schaltete sich ein. »Zielperson erkannt. Schwarzer Mercedes – Stuttgart Emil Marta Fünf Sieben Fünf Eins.«
»Das kann nicht sein«, entfuhr es Treidler. Markovic würde nie so viele Stunden vor der vereinbarten Zeit ankommen.
»Verdammt, das ist zu früh«, rief auch Brenner aus und eilte zum Bus. Mit einem Fernglas in der Hand kam er zurück und richtete es auf die Einfahrt. »Da ist der Mercedes. Schauen Sie selbst.« Brenner reichte das Glas an Treidler weiter.
Er suchte die Straße nach dem Fahrzeug mit Stuttgarter Kennzeichen ab. »Markovic kommt bestimmt nicht vor Anbruch der Dunkelheit.«
Dann entdeckte er den Wagen. Ein schwarzer Mercedes-Kombi, der mit langsamer Geschwindigkeit den Parkplatz ansteuerte. Und tatsächlich, der Fahrer sah aus wie Markovic. Dunkle kurze Haare, breite Koteletten und … nein. Treidler atmete erleichtert aus: Der Mann war viel zu groß. Der Fahrersitz befand sich so weit hinten, dass er zumindest Treidlers Körpergröße haben musste.
»Und?«, fragte Melchior neben ihm. Sie versuchte, den Mercedes mit dem bloßen Auge auszumachen.
»Nein. Das ist er nicht.« Treidler nahm das Fernglas wieder herunter.
»Sicher?«, fragte Brenner.
»Ja, der Mann ist größer als Markovic. Außerdem ist dieser Mercedes kein Mietwagen. Da kleben zwei Jahresvignetten aus Österreich an der Windschutzscheibe.« Treidler reichte ihm das Fernglas.
Trotz Treidlers Entwarnung hatten die SEK -Beamten bereits Kevlarwesten über T-Shirt oder Hemd angezogen und warteten auf ihren Einsatzbefehl.
Auch Treidler und Melchior entschieden sich, ihre Ausrüstung anzulegen. In Anbetracht der knappen Reaktionszeit wären sie für alle Fälle gewappnet.
»Jetzt kann er kommen.« Melchior zog ihre Weste über und reichte ihm die seine aus dem Kofferraum ihres Dienstwagens.
Treidler konnte sich kaum daran erinnern, wann er das letzte Mal eine dieser fünf Kilogramm schweren Dinger getragen hatte. Es musste irgendwann vor drei oder vier Jahren gewesen sein, als er zu einem Bankraub mit Geiselnahme in der Rottweiler Innenstadt gerufen worden war. Damals war der Einsatz glimpflich ausgegangen. Der Bankräuber hatte kein Blutbad angerichtet, wie er angekündigt hatte, sondern sich nach einem zermürbenden achtzehnstündigen Verhandlungsmarathon ergeben.
Treidler seufzte, zog die Weste an und versuchte, sie zu schließen. Dazu musste er die Luft anhalten und den Bauch einziehen. Mit einem Ruck gelang es ihm, das unterste Band am Klettverschluss zu befestigen.
»Was ist?«, fragte Melchior.
»Bin gleich so weit«, presste er hervor.
»Die Westen gibt’s bestimmt auch in Ihrer Größe«, bemerkte sie und grinste.
»Das ist meine Größe, da stand ›M‹ drauf. Jedenfalls vorhin, als ich sie abgeholt habe.«
»Tatsächlich?«, entgegnete Melchior mit gespielter Überraschung. »Dann muss es sich wohl um einen Fehler des Herstellers handeln.«
»Warum habe ich den Eindruck, dass Sie mich auf den Arm nehmen wollen?«
»Kommen Sie endlich, Treidler. Sonst hat das SEK Markovic verhaftet, bevor wir überhaupt die Ausrüstung angelegt haben.«
Die nächsten Stunden vergingen nur zäh.
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