Letzte Ausfahrt Neckartal
beschrieben. Der Verfasser mit dem Kürzel hb nannte sowohl die Todesursache wie auch die genaue Tatzeit und die vermutete Tatwaffe. Treidler schüttelte den Kopf ob so viel Dummheit: Wie konnte jemand ohne Not dieses Täterwissen der Öffentlichkeit preisgeben? Sobald er im Büro war, würde er die Verantwortlichen der Pressestelle zur Rede stellen. Doch schon ein paar Sätze weiter stand neben einigen Mutmaßungen des Verfassers über den Tathergang und die Täter: Die Sonderermittlungsgruppe des Bundeskriminalamts unter Leitung von Hauptkommissar Rüdiger Paschl hat am Dienstagmorgen für zehn Uhr eine Pressekonferenz angekündigt. Vielleicht bringt das BKA damit endlich Licht hinter die seit Tagen hochkochenden Spekulationen über islamistischen Terrorismus.
»Verfluchter Wichtigtuer«, knurrte Treidler und knallte die Zeitung auf den Tisch. Konnte er das noch verhindern? Er blickte auf die Küchenuhr: fünf vor zehn. Bis ins Präsidium würde er es bis zum Beginn der Pressekonferenz nicht mehr rechtzeitig schaffen. Er ging zum Telefon und wählte die Nummer des Kommissariats. Nach dem zweiten Klingeln nahm Ursula Lohrmann vom Sekretariat ab. Von ihr erfuhr Treidler, dass Paschl und Petersen die Pressekonferenz vorbereiteten und sie deshalb keine Anrufe weiterleiten durfte. Winkler jedoch sei in seinem Büro erreichbar. Treidler ließ sich zu ihm durchstellen.
»Was gibt’s?«, bellte Winkler in den Hörer.
Treidler hatte keine Mühe, sich sein aufgedunsenes, gerötetes Gesicht vorzustellen. »Winkler, was ist da bei euch los?«, entgegnete er.
»Warum, was soll los sein?« Natürlich, der Kollege Winkler spielte mal wieder den Unwissenden.
»Die PK . Du weißt genau, auf was ich rauswill.«
»Ach so, das meinst du …«
»Ja, das meine ich.« Treidler packte das Messer, umschloss es mit seiner Faust und schlug auf den Tisch.
»Wir haben ihn.«
»Wen?«
»Den Mörder von diesem Polacken.«
»Und wer soll das sein?«
»So ein verfluchter Kameltreiber ganz aus der Nähe. Hedi Essadi Wasweisich heißt er.«
»Und wie kommt ihr auf den?«
Winkler stöhnte auf. »Komm zur PK . Dort erfährst du alles.«
»Ihr macht einen Fehler mit der Pressekonferenz.« Warum zum Teufel wollte Winkler nie einsehen, dass die Ermittlungen auch ohne ihn vorankamen.
»Natürlich, wie immer. Unser geschätzter Kollege KHK Treidler ruft an, sobald alles in trockenen Tüchern ist, und erklärt uns, dass wir einen Riesenfehler machen. Mann, lass mich bloß in Ruhe mit deiner Scheiß-Besserwisserei.«
Klack. Danach war nur noch das Tuten aus dem Telefonhörer zu hören. Winkler hatte einfach aufgelegt.
»Wo ist diese verfluchte PK ?«, rief Treidler Ursula Lohrmann noch vor ihrem Büro zu. Es war Viertel nach zehn, schneller hatte er es durch den Verkehr in der Rottweiler Innenstadt nicht geschafft.
Sie deutete mit dem Finger in die entsprechende Richtung. »Drüben.«
Treidler machte auf dem Absatz kehrt, eilte den Flur zurück und riss die Tür zum Besprechungszimmer auf. Schlagartig verstummte jegliches Geräusch im Raum. Hände erstarrten mitten in der Bewegung über den Notizblöcken, Diktiergeräten oder Notebooks, und ein gutes Dutzend Köpfe flogen beinahe simultan herum. Etliche Augenpaare musterten Treidler neugierig. Nur zögerlich, fast widerwillig drehten sich die Journalisten wieder dem einzigen Tisch im Raum zu.
Es war zu spät. Die Pressekonferenz hatte bereits begonnen. Zwischen Petersen, der wie immer keine Miene verzog, und dem sichtlich nervösen Winkler saß Paschl mit offenem Mund. Offenbar hatte Treidler ihn mitten im Satz unterbrochen. Erst Sekundenbruchteile später fand der seine Fassung wieder und reckte den Kopf aus seinem schwarzen Rollkragenpulli. Er sah aus wie ein Raubvogel, der die Beute unter sich bereits erspäht hatte und nur auf den richtigen Augenblick wartete, um hinabzustoßen.
Links und rechts des Tisches standen die vollgepflasterten Magnettafeln, die Treidler von den Lagebesprechungen kannte. Lediglich die Fotos der beiden arabisch aussehenden Männer waren gegen zwei andere ausgetauscht worden. Eines zeigte Mehmet Bayram, den anderen, einen jungen dunkelhaarigen Lockenkopf mit höflichem Lächeln, kannte Treidler nicht.
»Verzeihen Sie die Störung, meine Damen und Herren. Das ist Hauptkommissar Wolfgang Treidler. Er war bis Ende letzter Woche als leitender Ermittler für den Fall zuständig.« Paschl blickte Treidler direkt an und lächelte sein falsches
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