Letzte Ausfahrt Ostfriesland
lassen, der uns mit missmutigem Gesicht von der Trage aus entgegenstarrte. Auch Liebenau saß kleinlaut und bleich am großen Tisch.
Ich eröffnete die Versammlung. Mein kurzer Lagebericht schilderte keine Einzelheiten, sondern zeigte ihnen mein Bedauern über die Vorfälle, die einen Menschen das Leben und unseren Matrosen Malky die Gesundheit gekostet hatten.
Dann wies ich auf den Ersten Offizier und kündigte an, dass er den genauen Verlauf darstellen werde.
Malky stöhnte vor Schmerzen, doch er lehnte es ab, sich hinaustragen zu lassen.
Nababik suchte keine Rechtfertigung. Sachlich kam ihm der Bericht über die Lippen, schob die Angriffslust Steenblocks auf dessen mutmaßlichen Alkoholgenuss und machte deutlich, dass auch unser Matrose Malky uns mit der Waffe bedroht hatte.
Das Gemurmel verstummte schnell, und da wir - so schien es den Besatzungsmitgliedern - den Verletzten fair behandelten und der Matrose die Vorwürfe mit einem Nicken bestätigte, zollten sie Nababik Beifall, als er sich zu mir setzte.
Ich erhob mich, ergriff noch einmal das Wort und sagte: »Unser Ziel ist der spanische Hafen Sant Feliu de Guixols. Wir haben nur eine geringe Ladung an Bord, die aber für jeden mehr Prämien bringen wird als üblich, weil dank des Mutes und selbstlosen Einsatzes unseres Ersten Offiziers die wenigen unschädlich gemacht wurden, die das verhindern wollten. Leute, wir leben nicht ohne Gefahren! Aber wir schaffen es, wenn jeder seinen Dienst in diesem Sinne versieht. Mächtige wollen mit uns verdienen. Doch auch unsere Prämien können sich sehen lassen, wenn wir eine Mannschaft bleiben, ein Team sind. Männer der Sea Ghost, geht wieder an eure Plätze, denkt an das Geld, das uns dazu verhelfen wird, bald auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen!«
Ich erhielt tosenden Beifall.
Nababik stand auf und sagte: »Wir machen keine Kreuzfahrt! Augen auf, wo immer ihr auch seid und was immer ihr auch tut!«
Die Messe leerte sich. Ich nahm Achmed Abu Dota beiseite.
»Gib den Männern, was ihnen eine Freude bereitet«, flüsterte ich ihm zu.
Er rieb sich den dicken Bauch und ging grinsend davon.
Die Sea Ghost nahm wieder volle Fahrt auf. Ben Salotto hatte von Nababik den Auftrag erhalten, Beppo auf der Brücke zu assistieren.
»Dieser Steenblock war nie an Bord«, sagte Nababik entschlossen, als wir die Kabine des Holländers betraten.
Ich zog den Vorhang beiseite und ließ Licht durch das Bullauge herein.
Der holzvertäfelte Raum war etwa fünf Quadratmeter groß, enthielt eine zur Couch umfunktionierte Liege, einen Tisch und einen Sessel.
»Beginnen wir mit der Durchsuchung«, sagte ich und öffnete die Tür des Einbauschranks.
Auf den seitlichen Fächerbrettern lagen ein frisches Hemd, saubere Wäsche und Socken. Als hätte er keine weitere Garderobe bei sich gehabt, hingen billige Plastikbügel leer an den Haken.
Ich nahm die Ledertasche vom Schrankboden und setzte sie auf den Tisch.
»Soll ich?«, fragte Nababik, den das Jagdfieber nach verborgenen Geheimnissen gepackt hatte.
Ich nickte, und er holte eine Brieftasche aus dem Inneren, die - das sahen wir sofort, als wir sie öffneten - eine Menge Dokumente enthielt.
Sein Führerschein war auf den Namen Jan Steenblock in Groningen ausgestellt. Ein Foto zeigte eine Frau in mittleren Jahren, die zwei kleine Jungen an der Hand hielt. Der Friede des Bildes, im Hintergrund der bescheidene Bungalow mit viel Grün, musste jedem Grenzbeamten ans Herz gehen.
Sein Reisepass wies ihn als niederländischen Staatsbürger aus, dokumentiert durch das Siegel der Stadt Groningen. Natürlich ging Steenblock auch einem Beruf nach. Die Dienstbehörde wies ihn als technischen Berater im Außendienst aus.
Ein billiger Werbekalender einer Molkereimaschinenfabrik aus Venlo enthielt Geburtstage und Termine. Der letzte, den er noch erlebt hatte, nannte eine Adresse in Istanbul, die abgehakt war.
Einige Tageszeilen weiter fanden wir eine Anschrift von Zypern, die noch vor seinem Tode lag, aber von ihm nicht mehr wahrgenommen werden konnte, da Nababik um diese Zeit bereits den Funkkontakt der Sea Ghost mit der Außenwelt unterbrochen hatte.
»Den Termin einzuhalten hat wahrscheinlich Liebenau die Ehre gekostet«, sagte ich, und mir war ein wenig flau im Magen, als mir bewusst wurde, die Papiere eines Toten in Händen zu halten.
»Vielleicht schwimmt er jetzt hin«, sagte Nababik sarkastisch.
Meine bisherigen Erlebnisse hatten meine Gefühle bereits so weit abgestumpft,
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