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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Hochschulreife zu bringen. Diese Aufgabe war von mir nie ohne Witz und Humor versehen worden, denn ich hasste jede Art von Drill und liebte eine aufgelockerte Lern- und Lehratmosphäre.
    Mein Schulleiter war kein Kapitän mit Mannschaftsgeist. Unsere Beamtenhierarchie ließ nur wenig Raum für Teamgeist. Jahrelange Arbeit vor der Klasse, mit Menschlichkeit gefüllt, zerplatzte wie eine Seifenblase und hinterließ keine greifbare Materie, wenn er in seinem Edelbüro Rücksprache auf kleine Zettel kritzelte.
    Wie mochte sich der große Präsident des Männergesangvereins vorkommen, wenn er das Nordseelied sang, ohne zu begreifen, dass seine angepasste Obrigkeitsmentalität den Fortschritt - bescheiden ausgedrückt, die Übernahme neuer Ideen - unterdrückte?
    Doch mich bewegte mehr die Frage, ob es mir gelingen würde, mich aus allen Verwicklungen zu befreien. Konnte ich am Ende meine Tochter wohlbehalten an die Hand nehmen und nach Hause führen und Kaya an mich drücken?
    Mir war es zum Kotzen! Ich entdeckte plötzlich eine wenn auch geringe Mitschuld daran, dass Kinder unsere Schulen hassten und viele von ihnen auf das warteten, was Nababik im zweiten Frischwassertank unserer Sea Ghost versteckt hatte, nämlich ein gefährliches Mittel, den Frust zu vergessen, wobei die Gesundheit vor die Hunde ging.
    Taten wir wirklich alles, das zu verhindern? Ich wusste, dass es zwecklos war, mir zusätzlich Probleme aufzuladen, die einen Stammtischabend füllen konnten. Doch ob ich jemals wieder in einer bürgerlichen Kneipe von Kumpeln umgeben aus einer gesicherten Position heraus Probleme diskutieren würde, war und blieb fraglich.
    Ich sehnte mich nach Kaya. Ihr junger Körper hätte mich ablenken können!
    Aber war auch das verwerflich?
    Stand mir mit meiner strengen Kritik das Recht zu, ein hübsches Mädchen zu lieben, das im Alter meiner Tochter war? Unterlag ich in meinem Unterbewusstsein einer trüben Hoffnung, irgendwo in der Fremde einen Neuanfang zu suchen? Auch dort war die Welt keineswegs in Ordnung!
    An vielen Abenden liefen meine Gedanken so im Kreis, wenn ich beim Bier Ablenkung und Beruhigung suchte. Ich zählte dann die Tage und sah besorgt in meine ungewisse Zukunft.
    Es war nicht nur die Fracht, die mich zum Mitschuldigen stempelte. Hinzu kam das menschliche Versagen, dass ich Chancen ausgelassen hatte, Mannschaft und Schiff, wenn auch unter Opfern, hochgehen zu lassen. Meine Sea Ghost - ja, ich ergriff immer mehr Besitz von dem weißen Schiff, das mit zwanzig Knoten Holland entgegenstampfte, als erfülle sich dort ihr Schicksal und das meinige - hatte für mehr als hundert Millionen Euro Rauschgift an Bord, das viele junge Menschen in den Tod treiben konnte.
     
    Am wohlsten fühlte ich mich auf der Brücke, wenn das Schiff mit seinem scharfen Bug das Mittelmeer pflügte.
    Bis auf einige Sommergewitter, die mit starken Winden unserer Sea Ghost hohe Brecher entgegengeschleudert hatten, war das Wetter gut gewesen.
    Doch unvergessen bleiben mir die Bilder, als sich die Blitze im Zickzack rund um uns vor dem weiten Himmel mit grellen gelblichen, bis ins Rötliche gehenden Farben entluden und die Donner wie Kanonenschläge das Rauschen der Bugwellen übertönten. Unser Schiff hatte im starken Seegang Wellenberge genommen, während Wassermassen gegen die Fenster geklatscht waren, als hätten uns die aufgewühlten Wellen überrollt.
    Ansonsten hatten wir keine Zwischenfälle erlebt. Erst als wir uns der holländischen Küste näherten, füllte sich der Himmel mit schweren Wolkenbänken. Die Temperaturen fielen und näherten sich herbstlichen Werten.
    Es war bereits sechzehn Uhr, als ich die Brücke betrat.
    Beppo löste Ben Salotto ab, der zum Abendessen ging.
    Nababik stand schweigend vor den Armaturen. Ich nahm das Fernglas, setzte es an meine Augen und ließ den Blick erst über das Wasser gleiten, bevor ich es auf den Horizont richtete.
    Ich machte einen Landstrich aus. Nach der Seekarte musste das Texel, die erste der Westfriesischen Inseln sein.
    Mich überfiel eine innere Unruhe, denn in wenigen Stunden würde ich mehr über mein Schicksal erfahren.
    Auch Nababik schaute ernst drein und bewegte sich wortkarg hin und her.
    Achmed Ben Dota zwängte sich zwischen uns.
    »Heißer Kaffee und Gebäck ist gut für Nerven«, sagte er, grinste und servierte uns den Kaffee. Er fühlte wohl, dass er hier oben überflüssig war, und verließ uns. Ich war ihm dankbar, trank aber dennoch den Kaffee, ohne sein Aroma zu

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