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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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steckte eine Euromünze in den Schlitz der Opferdose, nahm eine Kerze, zündete sie an und spießte sie auf die Halterung. Ihre Flamme neigte sich im Verein mit den bereits brennenden.
    Erst jetzt bemerkte ich die alten Frauen, die Schwarz trugen. Ein Gebet glitt über meine Lippen, das ich an die Mutter Maria richtete, und ich hoffte, dass Anke ihr nach ihrem qualvollen Tod nahe gekommen war.
    Weder gestärkt noch deprimiert verließ ich San Pedro. Dem Weihwassergeruch folgte der von Jod und Salz.
    Ich sah auf die Schiffe, die an den Tauen vor den Zementstegen lagen und Lücken aufwiesen. Vom Schlauchboot mit Außenbordmotor bis zur Superhochseejacht berührten sie sich friedlich, wenn kleine Schwappwellen mit ihren Rümpfen spielten. Seitlich lagen Apartments mit Panoramablick, als ich die Treppe zum Hafen nahm, die von der Promenade wegführte.
    Nababik stand an der Reling und winkte mir zu. Die Sea Ghost empfing mich mit dem Lärm der warmlaufenden Maschinen.
    Ich kletterte an Bord.
    »Klaus, hol deine Mütze! Wir müssen los«, sagte Nababik und schlug mir, als hätte er all meine Gedanken erraten, aufmunternd auf die Schulter.
     
    Die Stimmung an Bord war ausgezeichnet. Schnell entschwand die Bucht, und wir erreichten das offene Meer.
    Ohne Wehmut sah ich, wie der hübsche Ort winzig wurde und vielleicht auch für meine Zukunft unbedeutend verschwand. Nur wenn ich das Abenteuer überlebte, konnte er für meine Erinnerungen einen Stellenwert bekommen.
    Wir ordneten uns ein in die Meeresstraße, zogen mit Frachtern und Tankern, die wir mit voll aufgedrehten Maschinen hinter uns ließen, der Straße von Gibraltar entgegen.
    Müßiggang ist aller Laster Anfang, hatte Nababik mir gesagt, und wir hatten befohlen, dass alle Mannschaftsmitglieder, die für die Aufrechterhaltung der Fahrt nicht eingesetzt waren, sich mit Farbe und Pinsel um die Beseitigung der Roststellen an Heck und Bug zu bemühen hatten.
    Während wir mit vollen Touren ohne Wetterstörungen unter einem wolkenlosen Himmel den Niederlanden entgegenstampften, saßen die Männer auf Holzbrettern, die Taue hielten, und pinselten, um unsere stolze Dame mit weißer Farbe schön zu halten.
    Die meiste Zeit verbrachte ich auf der Brücke. Hin und wieder stieg ich hinab in die Mannschaftsräume, suchte das Gespräch mit den Männern, rauchte mit ihnen Zigaretten und erkundigte mich nach ihren kleinen Sorgen.
    Auch der Funker Liebenau trug einen fleckigen Overall und ordnete sich völlig ein in den Arbeitsrhythmus. Er wirkte ruhiger und ausgeglichener. Ich lud ihn zu mir ein in meine Kabine und trank mit ihm Bier. Kleinlaut fand er entschuldigende Worte und trauerte dem nach, was geschehen war.
    Als er mich verließ und überschwänglich sagte: »Kapitän Harms, für Sie gehe ich durchs Feuer, denn ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet!«, ahnten weder er noch ich, dass daraus eine ernste Wirklichkeit werden sollte.
    Auch ich erlebte einen Wandel. Die Mannschaft hatte keinen Durchblick. Für sie war es gleichgültig, ob sie Maschinenpistolen, Handgranaten von Antwerpen oder Tanger in den Libanon schifften oder Rauschgift von dort nach Europa brachten. Die Hauptsache für sie war, dass die »Kohle« stimmte.
    Von der Seetüchtigkeit der Sea Ghost waren sie zu Recht überzeugt. Sie kannten sich aus, was Schiffe betraf. Für sie war es wichtig, dass die, die das Sagen an Bord hatten, ihr Vertrauen besaßen. Sich ständig Bestrafungen gegenüberzusehen, das lehnten sie ab. Und genau diese Menschenführung lag mir.
    Mir kam es seltsam vor, dass ich als Oberstudienrat für Mathematik zu der Figur an Bord wurde, der sich alle verpflichtet fühlten. Ihre Anhänglichkeit war mir oft peinlich. Ich, der falsche Seemann, war für diese Menschen der echte Kapitän!
    Nababik spielte treu und brav mit, trat nie ohne Order von mir an sie heran.
    Hätten wir nicht Rauschgift als Fracht an Bord und nicht die Anweisung, auf der Rückfahrt Waffen in den Libanon zu schaffen, sondern übliche Handelsgüter, die Rolle als Kapitän Harms hätte ich bis an mein Lebensende spielen mögen.
    Müde saß ich abends vor meinem Bier, wenn ich meine Kontrollgänge hinter mir hatte und Nababik mich nicht unbedingt auf der Brücke brauchte.
    Nur selten fanden meine Gedanken zurück zu meinem Gymnasium, denn noch konnte ich mir nicht vorstellen, wieder wie früher zu den Büchern zu greifen und meine Kraft den jungen Menschen zu widmen, sie in den von mir vertretenen Fächern zur

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