Letzte Ausfahrt Oxford
zu sagen wissen. Plötzlich blieben ihre Augen an einem kurzen, maschinengeschriebenen Prosastück hängen. Schriftbild und Format kamen ihr bekannt vor.
Ich arbeite gern hier oben auf der Galerie . Ich steige gern bis unter das Dach des Hauses , ich sitze gern mit dem Kopf in der Nähe der Wolken und den Füßen nur einen Schritt von der gähnenden Leere und dem Beton tief unter mir entfernt . Meine Gedanken fliegen zur anderen Seite der Galerie .
Galerie. »In der Galerie könnte etwas Verwertbares sein.« Und Susie Holbech hatte die Karte verloren. Susie beschäftigte sich mit der Instandhaltung von Büchern. Sie wäre wahrscheinlich in der Lage, Exlibris und Handschriften des neunzehnten Jahrhunderts zu fälschen. Und sie hatte mit Jenna während deren Zeit in Kennedy House zusammengearbeitet, war aber nicht besonders gesprächsbereit gewesen, als Kate sie um Informationen bat.
Sie ließ sämtliche Bibliotheken Revue passieren, die sie bisher besucht hatte, konnte sich aber beim besten Willen an nichts erinnern, das auch nur entfernt an eine Galerie gemahnte. Doch ihr blieb noch eine Möglichkeit. Eilig strebte sie zum Telefon.
»Liam? Ja, mir geht es gut. Und dir? Schön. Richtig, du hast Recht, wir sollten uns bald einmal wieder sehen. Morgen? Nein, abends geht es leider nicht, da habe ich schon etwas vor. Ich dachte eher an den Nachmittag. Es wäre furchtbar nett, wenn du mir die Bibliothek eures Instituts zeigen und mich der Belegschaft vorstellen könntest. Halb drei? Ja, super. Danke schön.«
Kate hatte plötzlich das merkwürdige Gefühl, als kontrolliere eine fremde Hand ihre Bewegungen und lenke sie durch ihre Nachforschungen. Jemand fütterte sie mit genau den kleinen Bröckchen an Information, die er ihr zugestand, und zwar in einer Reihenfolge, die seinen Plänen entsprach.
Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. Alles Einbildung. Sie hatte sich selbst, ihr Leben und ihre Untersuchungen fest in der Hand – keine Frage. Aber wie hatte Vivian Moffatt erraten können, dass sie unter Höhenangst litt?
Nach dem Abendessen und einer etwas intensiveren Lektüre von Emmas Kursvorbereitung entschied sie sich, früh zu Bett zu gehen und das erste Kapitel von Stürmische Höhen in Angriff zu nehmen.
XI
G lauben Sie nicht auch, dass es im letzten Kapitel eine Konfrontation zwischen den beiden Protagonisten geben müsste? Gut und Böse, die einander Auge in Auge gegenüberstehen.
Doch dazu müsste man wissen, wer welcher ist. Habe ich schlecht gehandelt, als ich die Chance, in Oxford ein gutes Leben zu führen, ohne Zögern beim Schopf ergriff? Ich habe John Exter nichts weggenommen, sondern schenkte ihm noch siebzehn Jahre nach seinem Tod. Ich nahm ihm nichts, gab ihm aber mehr, als er je erwarten konnte.
Also Jenna. Sie möchten mit mir über Jenna sprechen, nicht wahr? Aber das war nicht mein Fehler. Es war ihrer – ganz allein. Sie hätte sich von uns fern halten sollen. Sie hätte mir zuhören müssen. Wenn sie wenigstens die geringste Anstrengung unternommen hätte, ein wenig netter zu sein oder sich bei uns einzuschmeicheln, dann hätte ich es mir vielleicht überlegt. Wenn sie sich – nur als Beispiel – an diesem Tag das Haar gewaschen oder wenigstens gebürstet hätte. Wenn sie ein wenig Lippenstift aufgelegt hätte. Wenn sie ihre kleinen Schweinsäuglein mit irgendetwas anderem als Selbstgefälligkeit zum Glänzen gebracht hätte. Bis zum letzten Augenblick hätte ich sie laufen lassen. Aber sie hat die Entscheidung selbst getroffen.
»Nimm die Ausfahrt Oxford«, hat sie gesagt. Sie hat es selbst gesagt. Und ich habe ihr gehorcht. Sie können mich wirklich nicht für das verantwortlich machen, was als Nächstes geschah.
Jetzt ist da noch eine andere Frau. Sie heißt Kate Ivory. Sie hat in unseren Geheimnissen herumgestochert und viele Fragen gestellt. Angeblich ist sie Schriftstellerin. Was zum Teufel sucht sie also hier? Warum geht sie nicht nach Hause und schreibt? Die gute Seele des Hauses sollte sie sein – jede Frau sollte das sein. Aber nein, sie gehen hinaus ins Leben, sie versuchen, uns zu sagen, wie wir uns verhalten sollen, und werden zu Monstern. Zu wahren Monstern.
Sie glaubt, sie kann herausfinden, wieso die Bücher verschwinden und wohin sie gebracht werden. Zu diesem Zweck ist sie sogar nach Santa Luisa gefahren. Na dann viel Glück. Deren Sammlung der Veil -Romane ist dank unserer Hilfe inzwischen komplett, und wenn sie keine Lust haben, dicke Schecks für etwas
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