Letzte Ausfahrt Oxford
sie.
»Haben Sie eine Minute Zeit für mich?«, fragte sie und setzte ihre eigene Version eines gewinnenden Lächelns auf.
»Aber immer«, sagte er, kam ihr entgegen und blieb viel zu nah vor ihr stehen.
»Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich an Jenna Coates erinnern«, spulte sie herunter, während sie seinen nach Zwiebeln duftenden Atem warm an ihrem rechten Ohr spürte.
»Ich habe sie nicht sehr gut gekannt«, gab er zurück. »Und Ihnen konnte sie ganz bestimmt nicht das Wasser reichen – ehrlich.«
»Ich bin nicht etwa eifersüchtig, Ian. Ich möchte nur wissen, was Jenna bei ihrem Aufenthalt in Kalifornien entdeckt haben könnte.«
»Und ich hatte gehofft, Sie würden heute Abend mit mir Pizza essen gehen.« Wahrscheinlich Pizza mit Zwiebeln.
»Würde ich wirklich gerne tun, aber leider habe ich schon etwas anderes vor.«
»Vielleicht morgen?«
»Morgen vertrete ich eine Freundin in deren Schreibkurs.« Und ich sollte schleunigst nach Hause gehen und mich vorbereiten, denn sonst stehe ich morgen vor zwanzig Leuten und weiß nichts zu sagen, fügte sie im Stillen hinzu. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir die Postkarte da drüben einmal genauer ansehe?« Die Frage war zwar nicht gerade raffiniert, aber immerhin bestand eine gewisse Chance, dem Zwiebelatem zu entrinnen.
»Klar, wenn Sie wollen. Obwohl ich mich natürlich frage, warum.«
Er löste die Heftzwecke und reichte ihr die Karte. Ja, das Bild war das gleiche: ein mit violetten Blüten bedecktes Haus im spanischen Stil. In einer Ecke prangte der Schriftzug Santa Luisa . Kate drehte die Karte um.
Tom: In der Galerie könnte etwas Verwertbares sein .
Es gab weder einen Anhaltspunkt, wer die Karte geschrieben haben könnte, noch war sie mit der Post zugestellt worden. Wer weiß, was der Satz bedeuten mochte.
Vielleicht war die Karte von Vivs Ausflug nach Kalifornien übrig geblieben, und er hatte sie verwendet, einem seiner Komplizen eine Nachricht zukommen zu lassen. Die Handschrift stammte jedenfalls nicht von Jenna – oder zumindest war sie eine ganz andere, als die auf der Karte an Isabel.
»Wissen Sie, wer hier angesprochen wird?«, forschte Kate.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer dieser Tom ist. Susie Holbech hat die Karte verloren, als sie uns eines Tages hier besucht hat – wissen Sie, wir sprechen tatsächlich manchmal mit anderen Instandhaltern. Ich habe sie nur ans schwarze Brett gepinnt, damit ich nicht vergesse, sie ihr zurückzugeben.«
»Und wie lange hängt sie jetzt schon da?«
»Ziemlich lange. Ich hatte sie völlig vergessen. Dinge, die länger als eine Woche am schwarzen Brett hängen, übersieht man irgendwann. Wahrscheinlich war es sowieso nicht besonders wichtig. Aber das Foto ist toll, finden Sie nicht?«
»Doch, durchaus.«
»Und was wird nun aus unserer Pizza? Wir könnten uns auch für Samstag verabreden und anschließend ins Kino gehen.«
»Danke, aber ich bin in der nächsten Woche total ausgebucht.«
Hier gab es nichts mehr zu erfahren. Kate konnte es kaum erwarten, ihren Einkommensteuer-Ordner zu inspizieren. Wer weiß, vielleicht lautete Vivian Moffatts Name in Wirklichkeit Ian Maltby.
Es war der richtige Ordner. Kate fand Emmas vorbereitete Notizen für die einzelnen Lektionen und einige Überbleibsel schlecht getippter, mit Emmas roten Tintenstiftkommentaren versehener Manuskripte. Nur die Teilnehmerliste fehlte. Samt Adressen und Telefonnummern.
Die Namenliste also, dachte Kate. Als ich bei Emma war, hat sie mir die Aufstellung noch gezeigt. Eigentlich sollte sie also dabei sein. Vorsichtshalber blätterte sie den Ordner noch mehrmals durch, aber es blieb dabei: Die Teilnehmerliste fehlte. Als Kate den Ordner auf dem Beifahrersitz entdeckt hatte, war ihr klar gewesen, dass jemand ihn durchforstet haben musste, um belastendes Material zu entfernen. Dennoch hatte sie auf die winzige Chance gehofft, in Emmas unglaublicher Unordnung sei vielleicht etwas übersehen worden. Möglicherweise hatte Vivian Moffatt längst beschlossen, Emma den Ordner zurückzugeben, und sie hätte gar nicht in sein Auto einbrechen müssen. Inzwischen bereute sie, dass sie nicht bei dem schwarzen Fiesta geblieben war, bis jemand kam. Aber da war dieses übermächtige Gefühl gewesen, beobachtet zu werden. Und freiwillig würde er sich nie und nimmer von ihr entlarven lassen.
Kate überflog die Notizen für die nächste Kursstunde: Zumindest würde sie nicht dastehen wie der Ochs vorm Berg und nichts
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