Letzte Ausfahrt Oxford
aggressiv?«
»Aggressiv? Du solltest mich mal sehen, wenn ich aggressiv bin. Das war doch noch gar nichts. Ich hasse es einfach, wenn langweilige kleine Männer mich in meine Schranken zu verweisen suchen.«
»Nun, ich nehme an, du wirst deinen Umgangston ein wenig zügeln müssen, wenn du für die Universitätsbibliothek arbeitest. In den Büchereien arbeiten viele Leute, die glauben, dass man sich dort ganz gut vor den unangenehmen Seiten des Lebens – wie zum Beispiel anderen Menschen – verstecken kann. Sie wollen ihr gesamtes Leben nur mit Büchern verbringen. Natürlich liegen sie falsch. Das Wesen einer Bibliothek besteht darin, Informationen zu verbreiten und sich mit Menschen auszutauschen, aber daran denkt keiner, der diesen Beruf wählt. Du solltest deine Kollegen wie scheue, wilde Tiere behandeln. Und wenn einer von ihnen sich aufgeschlossen zeigt, hake am besten sofort nach. Nur dadurch, dass du zu so vielen Büros wie möglich Zutritt hast und dir jeden Klatsch anhörst, wirst du in der Lage sein, dir ein vernünftiges Bild zu machen.«
Ihre Schritte knirschten auf dem Kies vor dem Sheldonian Theatre.
»Du hast doch gesagt, du könntest morgen anfangen, nicht wahr?« Andrews Stimme klang hohl und ungewöhnlich feierlich, weil sie soeben den steinernen Torbogen zum Hofgeviert der Bodleian Bibliothek betraten. Innen im Hof schien die Sonne auf goldenen Cotswold-Stein, der hunderte über ihre Bücher gebeugte Studenten beherbergte.
»Ein wahres Mausoleum«, murmelte Kate. »Ein Mahnmal für tote Autoren und tote Bücher.«
»Quatsch«, konterte Andrew kurz angebunden. Sie ließen den gepflasterten Hof hinter sich und erreichten den Radcliffe Square. »Dort drin sitzt die kommende Generation«, fügte er hinzu und wies auf die Radcliffe Camera. »Junge, wissbegierige, idealistische Studenten. Ein paar von ihnen sind sogar weiblichen Geschlechts, Kate.«
Sie betraten die Lower Camera. Kates Herz schmolz dahin, als sie die Reihen intensiv arbeitender Studenten betrachtete. Bibliothekare hatten dafür zu sorgen, dass die Bücher, die diese jungen Menschen brauchten, zur Verfügung standen, wenn sie sie brauchten; der unmittelbare Einfluss auf ihre Examensnoten war nicht von der Hand zu weisen. Zumindest in den nächsten Wochen würde sie selbst Bibliothekarin sein – genauer gesagt, Bibliotheksassistentin –, und damit nahm sie an diesem Prozess teil. Und einmal ganz abgesehen von allem anderen, störte das Wissen um Bücherdiebstahl sowohl ihren Ordnungssinn als auch ihren Anspruch auf gute Arbeit.
Zu Andrews Büro ging es durch eine unauffällige Tür in der Lower Camera. Nachdem er sich an seinem Schreibtisch niedergelassen hatte, konnte Kate ihn hinter Stapeln von Büchern und Briefen kaum noch sehen. »Wir haben uns überlegt, dass es am einfachsten sein dürfte, dich ins Universitätssystem einzuschleusen, wenn wir dich als Nacherfasserin ausgeben.«
»Ist das so langweilig, wie es sich anhört?«
»Vermutlich noch viel langweiliger. Bisher sind dem System rund vierzig Bibliotheken angeschlossen, von der Bodleian über die zugehörigen Fachbibliotheken bis hin zu den Büchereien der Colleges, sowie winzigen spezialisierten Bibliotheken mit gerade einmal ein paar Bücherregalen. Die Büchereien schaffen es gerade so eben, mit den Neuzugängen Schritt zu halten, die jede Woche hier ankommen – im Fall der Bodleian sind das immerhin ein paar tausend Bücher wöchentlich. Wenn man aber darüber hinaus in der Lage sein will, den Büchern auf elektronischem Weg nachzuspüren, dann muss der gesamte Bestand katalogisiert werden.«
»Worin liegt der Vorteil?«, fragte Kate, die den Eindruck hatte, sie müsse auch einmal etwas sagen.
»Bevor wir die Datenbank hatten, mussten sich ein paar arme Hilfsbibliothekare durch ganze Kästen voller Ausleihkarten wühlen, um herauszufinden, wer welches Buch entliehen hatte, und Mahnungen zu schicken, wenn die Leihzeit überschritten war. Das war langweilige, Zeit raubende Arbeit – genau die Sorte Arbeit, die uns die Computer abnehmen sollen. Das Problem ist nur, dass zusätzlich während der normalen Arbeitszeit dreißig- bis vierzigtausend Bücher neu katalogisiert werden müssten. Und genau da setzen wir dich ein.«
»Können die sich denn jemanden wie mich leisten? Ich kann mir kaum vorstellen, dass eine winzige Bibliothek die Zahl ihrer Angestellten verdoppelt, nur um dir eine Freude zu machen, Andrew.«
»Du bist billig, Kate. Sogar sehr billig.
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