Letzte Ausfahrt Oxford
auf die Uhr, als habe er schon viel zu viel Zeit mit einem derart untergeordneten Mitglied seiner Belegschaft vergeudet. Er saß hinter seinem großen, unordentlichen Schreibtisch. »Wir haben keine andere Wahl. Ich glaube, wir müssen es mit Miss Ivory probieren. Zumindest weiß sie, wie man ein Buch katalogisiert.«
Zu lange schon arbeitete Kate nicht mehr für andere Leute. Daher empfand sie ganz besonders deutlich die abweisende Art, mit der Charles von ihr sprach. Weder seinen humorlosen Mund noch sein gelecktes Aussehen eines Schuljungen der fünfziger Jahre konnte sie ausstehen.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte sie. »Warum diese Geheimnistuerei? Warum rufen Sie nicht einfach die Polizei?« Sowohl Charles als auch Andrew entfuhr gleichzeitig ein entsetztes »Huch!«
»Oder warum schicken Sie nicht ganz offen einen Ihrer eigenen Leute in die Bibliotheken? Warum das Deckmäntelchen?«
»Das hat ökonomische Gründe«, stammelte Andrew.
»Es geht um Geld«, sagte Charles. »Wie immer. Andrew, erklären Sie es der Lady.«
»Man erwartet inzwischen von uns, dass wir uns selbst um die Beschaffung unserer Gelder kümmern. Die nötigen Finanzen fließen nicht mehr wie von Zauberhand auf unsere Bankkonten«, sagte Andrew. »Allerdings setzen unsere Bemühungen eine blütenreine Weste voraus. Wenn potenzielle Spender fürchten müssen, dass ihre Spenden – und wir reden hier von Spenden in Millionenhöhe, Kate …«
»Glauben Sie, Sie könnten Kate die Hintergründe erklären, ohne meine Zeit in Anspruch zu nehmen?«, unterbrach Charles. »Natürlich wird sie noch ordnungsgemäß eingewiesen. Geben Sie ihr also nur die Informationen, die für die Erledigung der Aufgabe unbedingt notwendig sind. Über die politische Vorgeschichte sollte sie nicht zu viel erfahren, meinen Sie nicht?«
»Ich erkläre ihr alles, was sie wissen muss«, gab Andrew diplomatisch zurück.
»Sehen Sie zu, dass sie in den nächsten Tagen Graham Kieler kennen lernt. Er ist derjenige im Team, der von Bibliothek zu Bibliothek geht und die Angestellten mit dem Predigen von Sicherheitsmaßnahmen zu beeindrucken versucht. Meistens beschränkt sich sein Aktionsradius darauf, Aufkleber mit Passwörtern von den einzelnen Bildschirmen zu entfernen. Aber er könnte etwas Aufschlussreiches gesehen oder gehört haben.« Charles stand auf, fummelte an seiner braunen Tweedkrawatte herum und forderte geradezu heraus, dass Kate und Andrew sich ebenfalls erhoben.
»Und es ist ganz sicher, dass nichts weiter dahinter steckt? Dass ich tatsächlich nichts weiter tun soll, als nachzuforschen, ob jemand in der Datenbank herumgefuhrwerkt hat?«, hakte Kate noch einmal nach.
»Aber natürlich! Was hast du erwartet?«
»Worüber, zum Teufel, redet diese Frau, Andrew?«
»Sie meint die Sache mit unserer Praktikantin im vergangenen Jahr, Charles.«
»Soviel ich weiß, hatte das absolut nichts mit uns zu tun.« Er presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. »Um auf die wichtigen Dinge zurückzukommen: Wir bieten Ihnen Gehaltsgruppe drei an«, sagte er, als sei die Sache bereits entschieden.
»Gehaltsgruppe fünf«, forderte Kate. Und als sie den Widerwillen auf Charles’ Gesicht sah, fügte sie hinzu: »Und zwar mit sämtlichen Zulagen.«
»Zulagestufe eins«, sagte Charles. »Ihre Aufgabe beinhaltet nicht genug Verantwortung, um Gehaltsgruppe fünf zu rechtfertigen.« Kate musste ihm diesen Triumph lassen, denn sie hatte tatsächlich nicht die geringste Ahnung, um welche Summen sie da gerade feilschte.
Durch die modrige Schimmelluft gingen sie zurück zur Eingangstür. Im Erdgeschoss erhaschte Kate einen kurzen Blick durch eine geöffnete Tür. Sie sah einen mit Schreibtischen und Computern voll gestopften Raum. Zwei Angestellte hämmerten aggressiv auf ihre Tastaturen ein, ein dritter goss dampfendes Wasser aus einem Wasserkocher in einen schmuddeligen Becher.
»Wohnen die hier?«, fragte Kate. »Sie sehen aus, als würden sie auch bei ihren Computern schlafen.«
»Wahrscheinlich tun sie das«, nickte Andrew. »Soll ich nachsehen, ob Graham da ist? Wo du schon einmal hier bist, könnte ich dich doch eben schnell dem restlichen Team vorstellen.«
»Bring mich bloß raus hier, ehe ich selbst noch überall Schimmel ansetze!«
»Und einen solchen Mann bezeichnest du nun als interessant«, wunderte sich Kate auf dem Rückweg die St. Giles hinunter.
»Du scheinst einen ungünstigen Einfluss auf ihn auszuüben. Warum warst du denn so
Weitere Kostenlose Bücher