Letzte Bootsfahrt
hinaus betraf, ein wandelndes Lexikon war. „Der Manzenreiter“, sagte er, „der hilft noch seinem Sohn, der ist praktisch noch berufstätig, obwohl er auch schon über siebzig ist.“ „Und was macht der Sohn?“, fragte die Frau Doktor.
Der Friedrich öffnete seine unterste Schreibtischschublade und zuckte enttäuscht mit den Schultern, als er anscheinend nichts Essbares darin vorfand. „Du hast doch eh gerade ein Rindfleisch gegessen“, ermahnte ihn Gasperlmaier, „du wirst doch nicht jetzt schon wieder eine Jause brauchen?“ „Zwei, wenn man’s genau nimmt“, mischte sich die Frau Doktor ein. „Ihr Kollege Kahlß hat meine Portion auch noch großteils gegessen, ich habe nach der Suppe schon genug gehabt.“ Gasperlmaier warf zweifelnde Blicke sowohl auf den Friedrich als auch auf die Frau Doktor. Beim Friedrich machte er sich Gedanken darüber, ob der seine Pension auch noch genießen würde können, wenn er so weiterfraß. Schließlich hatte er gerade erst einen neuen Uniformrock bekommen, und auch der schien ihm schon wieder ein wenig über dem Wanst zu spannen. Bei der Frau Doktor machte er sich eher Sorgen, dass sie auch anfangen könnte, magersüchtig zu werden. Von seiner Katharina her hatte er ja da einige unangenehme Erfahrungen. Er mochte es gar nicht, wenn die Frauen sich so herunterhungerten, das schadete der Figur mehr als ein paar Fettpolster. Und ganz runzlige Gesichter und einen Hängebusen bekamen sie auch vom Hungern, fand er. Darauf konnte er verzichten.
„Was mustern Sie mich denn schon wieder von oben bis unten? Gefällt Ihnen was nicht?“, fragte die Frau Doktor, der Gasperlmaiers Sinnieren und Starren anscheinend nicht verborgen geblieben war. Gasperlmaier fuchtelte nur ziellos in der Luft herum und brachte keinen vernünftigen Satz zustande. Allerdings fiel ihm zu seinem Glück plötzlich das seltsame Verhalten des Manzenreiter Sepp ein: „Mit dem Manzenreiter, da stimmt irgendwas nicht. Ich hab nur so eine Bemerkung gemacht, dass jetzt schon der Zweite aus ihrer Runde umgebracht worden ist, und dass vielleicht einer von den beiden der Nächste ist, und da hat er sich furchtbar aufgeregt und ist ganz rot geworden.“ Die Frau Doktor maß Gasperlmaier mit skeptischen Blicken. „Besonders taktvoll war das ja nicht gerade. Ich hätte mich in seiner Situation auch aufgeregt.“ Gasperlmaier versuchte, seinen Standpunkt zu verteidigen: „Also ich denke mir, dass der Angst gehabt hat. Vielleicht weiß er irgendwas, vielleicht haben die drei in ihrer Jugend irgendwas angestellt, für das sich jetzt jemand fürchterlich rächt!“ „Na, na!“, schüttelte die Frau Doktor den Kopf. „Da geht jetzt aber die Phantasie mit Ihnen durch, Gasperlmaier. Nach vierzig, fünfzig Jahren! Da müsste ja der Täter auch schon so alt sein! Und warum sollte er mit seiner Rache so lang gewartet haben?“ Gasperlmaier zuckte mit den Schultern, denn darauf hatte er keine Antwort. Anscheinend war seine Beobachtung doch nichts wert gewesen.
„Wir haben vorhin den Faden verloren“, warf die Frau Doktor ein. „Kahlß, sie wollten mir gerade erzählen, was der Herr Manzenreiter so treibt.“ „Der hilft seinem Sohn, dem Keuschner. Der hat einen Grillhendlwagen, mit dem er auf die Wochenmärkte fährt. Und der Sepp, der ist eigentlich der, der auf dem Markt steht und die Hendln grillt, und der Sohn kümmert sich um alles drum herum.“ „Wieso heißt der Keuschner und der Vater Manzenreiter?“, fragte die Frau Doktor. „Unehelich halt. Mein Bruder heißt ja auch Kitzer“, erklärte der Friedrich mit einem Achselzucken. Auch er war nämlich ein uneheliches Kind gewesen und hatte den Mädchennamen der Mutter behalten, während sein Bruder den Nachnamen des späteren Ehemanns der alten Kitzerin trug.
Die Frau Doktor stand auf. „Glauben Sie, Gasperlmaier, dass Ihre Mutter schon daheim ist? Ich möchte gern noch einmal mit ihr reden.“ Gasperlmaier musste daran denken, wie abfällig die Mutter von der Frau Doktor gesprochen hatte, und fürchtete, dass das Gespräch wenig ergiebig werden würde, nickte aber dennoch mit dem Kopf. Es hatte sowieso keinen Sinn zu widersprechen, wenn sich die Frau Doktor einmal etwas vorgenommen hatte. Genauso, übrigens, wie bei seiner Christine und bei seiner Mutter. Die Katharina konnte man da auch gleich dazuzählen. Wenn sie erst einmal einen Entschluss gefasst hatten, brauchte man gar nicht erst dagegenzureden, da handelte man sich nur Ärger
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