Letzte Bootsfahrt
Tränen um ihn vergießen würde.
Und genau so kam es. Wenigstens hatte es bis dahin zu regnen aufgehört, erbärmlich kalt war es dennoch. Der Wind pfiff, dass die Hosenbeine flatterten. Und nächsten Sonntag würde schon Ostern sein. Ihm konnte es ja egal sein, die Kinder waren längst zu groß zum Nesterlsuchen im Garten, aber die Kleinen konnten einem leidtun. Wenn es so weiterging, konnten sie ihre Osternester aus dem Schnee ausgraben. Wäre nicht das erste Mal gewesen.
Gasperlmaier war in Zivil und trug wieder seinen Schladminger, den er normalerweise im März nur noch selten auspackte. Für heute aber war er gerade richtig. Und genau, wie er vermutet hatte, hing die Mutter an seinem Arm und schnäuzte sich fast ununterbrochen. Obwohl der Ferdinand Breitwieser ja wirklich nicht zu ihrer näheren Bekanntschaft gehört hatte. Die Frau Doktor hatte gemeint, es wäre vernünftiger, wenn er als Zivilist mit seiner Mutter unterwegs war, da würde er vielleicht mehr Interessantes mitbekommen, vor allem beim Leichenschmaus, als wenn er als Beamter in Uniform aufgetreten wäre.
Gasperlmaier warf einen vorsichtigen Blick auf die Trauergemeinde ihm gegenüber. Die Frau Doktor konnte er nicht erkennen, aber der Friedrich, der ebenfalls mitkommen hatte müssen, war nicht zu übersehen. Obwohl er erst in der dritten Reihe der Trauernden stand. Nach rechts hatte er einen guten Blick auf den Pfarrer und die nächsten Angehörigen. Die Frau Schnabel hielt, wie seine Mutter, ein Taschentuch unter die Nase und schluchzte von Zeit zu Zeit. Ihre Mutter stand regungslos neben ihr und starrte in die Ferne. Gasperlmaier hatte den Eindruck, als interessiere sie das Begräbnis überhaupt nicht. Der Herr Schnabel schaute seine Schuhspitzen an, sodass Gasperlmaier keinerlei Gefühlregung erkennen konnte.
Der Pfarrer redete von unersetzlichem Verlust und von einer großen Lücke, immer das Gleiche, dachte Gasperlmaier bei sich. Das sah er selber ganz anders. Nach zwei, drei Wochen lief das Leben für alle Betroffenen fast genauso weiter wie vorher, nur dass sie halt hie und da einmal eine Kerze oder einen Blumenstrauß auf den Friedhof trugen. Und es fand sich immer einer, der sich in die Lücke drängte, die man hinterlassen hatte, ob im Beruf oder in der Familie. Da gab sich Gasperlmaier keinen Illusionen hin. Er hoffte nur, dass sich die Christine nicht mit so einem wie dem Beda aus Salzburg trösten würde, wenn er einmal vorzeitig dahinscheiden sollte. Dann sollte es schon ein Altausseer sein, fand er. Das hatte seine Frau verdient.
Schon war es Zeit, ans Grab heranzutreten und Erde und Blumen auf den Sarg zu werfen. Die Mutter und Gasperlmaier ließen den Verwandten und näheren Bekannten den Vortritt, denn zu denen gehörten sie diesmal nicht. So lange wurde die Wartezeit, dass Gasperlmaier meinte, bereits das Quatschen nasser Socken an den Zehen zu spüren. Erbärmlich kalt waren sie ohnehin. Im Wirtshaus würde er sich zuerst einmal einen Lupitscher bestellen. Als sie endlich am offenen Grab standen, schluchzte die Mutter so, als ob er selber, Gasperlmaier, da unten in der Grube liegen würde. Besänftigend tätschelte er ihr den Handrücken.
„Welcher ist denn der Manzenreiter? Der, von dem Ihre Mutter gesprochen hat? Den kenn ich noch nicht!“ Die Frau Doktor hatte sich an ihn herangedrängt, nachdem sie vom Grab weggetreten waren. Gasperlmaier hatte den Manzenreiter Sepp noch gar nicht gesehen. Unschlüssig sah er sich um. Da waren zahlreiche Männer im passenden Alter und von ähnlicher Statur, in grünen Trachtenröcken, Wetterflecken und Schladmingern. Da bei allen die Gesichter durch die Hüte fast verborgen waren, konnte Gasperlmaier den Gesuchten nicht entdecken.
„Der da drüben, Frau Doktor, mit dem grauen Wetterfleck. Der Kleinere, Dicke. Der mit dem Gamsbart.“ Die Mutter hatte den Sepp natürlich gleich erkannt. „Guten Tag, Frau Gasperlmaier“, sagte die Frau Doktor und schüttelte der Mutter die Hand. „Sie haben ja ganz kalte Hände! Schauen Sie, dass Sie in die Wärme kommen!“, fügte sie noch hinzu. Gasperlmaier nickte und zog die Mutter in Richtung Friedhofsausgang. Bis zum Schneiderwirt würden sie zu Fuß gehen, denn Parkplätze waren ohnehin rar, und Gasperlmaier wollte das Auto gern bei der Kirche stehen lassen, wo er vorhin zu seinem Glück noch einen Platz gefunden hatte.
„Warum sagt die denn ‚Guten Tag‘, Franzl, und nicht ‚Grüß Gott‘?“, wollte die Mutter wissen. Darüber
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