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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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seine Fragen nicht beantworten dürfen. Ich weiß selbst nicht, ob ich mich den Fragen aus irgendeinem Trotz oder vielleicht aus Angst gestellt habe, aus einer uralten und unüberwindlichen Beklemmung, die bis heute von früheren Razzien in mir geblieben ist, und ob ich mir nur vorlüge, daß ich keinen Grund zur Angst habe. Das Leben muß schon sehr abnorm sein, daß eine solche Situation entstehen kann, in der wir von Zwangsverhalten und ungelösten Konflikten gesteuert werden. Es wäre möglich gewesen, dem Gespräch auszuweichen, doch dann hätte ich das Gefühl gehabt, mich selbst zu verleugnen. «Wir müssen unser Dasein
so weit
, als es irgend geht, annehmen», schreibt Rilke irgendwo, und sowohl er hat recht als auch M. Nur ich habe nie recht. Jedenfalls hat uns dieses Intermezzo den ganzen Abend verdorben.
    15 . Februar 2004  Gestern ist M. nach Budapest geflogen. Ich fuhr morgens mit ihr zum Flughafen, sie hatte zuviel Gepäck. Danach den ganzen Tag mit der
Letzten Einkehr
gekämpft, umgeschrieben, dann die neue Fassung ausgedruckt. Heute morgen frühes Aufstehen, aber nichts geht: Ich stecke fest. Neun Uhr. Seit morgens halb sieben sitze ich an meinem Tisch. Bin müde und gelangweilt.
    17 . Februar 2004  Nachts Dreiviertel eins, noch in Berlin, Donnerstagabend fliege ich nach Budapest. Ich habe die paar Tage Einsamkeit nicht wirklich genutzt, wenn auch Seiten entstanden (
Letzte Einkehr
) und verworfene korrigiert worden sind. Am Sonntag (dem 15 .) war ich überhaupt nicht auf der Straße, heute (d.h. gestern) kaum. Mittags in der Bank; Überweisungen und Anlagemanöver mit der netten Frau P., die mir immer erklärt, daß meine Verluste eigentlich Gewinne sind. Ich glaube ihr zwar nicht, aber ich kenne mich weder im Deutschen noch in der Finanzsprache aus und noch weniger in der deutschen Finanzsprache. Aber der Empfang ist großartig, die Dame charmant, der Kaffee zwar schlecht, aber gern dargeboten, und ich genieße diese Finanzkultur, in der ich ein erfrischendes lauwarmes Bad im Schaum meiner Verluste nehme. – Hinterher Treffen mit den beiden Suhrkamp-Leuten: Sie sind angeschlagen von den letzten Monaten; ich machte ihnen Vorwürfe wegen des Verkaufsdebakels mit meinem Buch (
Liquidation
) und wich jedem Angebot aus, so daß sie im Grunde gar keine Angebote machen konnten: Eigentlich fühlte ich mich unbehaglich, denn ich habe es lieber, daß man mich mag, aber diesmal mußte ich in der Rolle des ekelhaften Kertész auftreten. Das machte ich ziemlich gut. Hinterher mußte ich mich buchstäblich nach Hause schleppen, so schmerzte – und schmerzt seitdem – mein Rücken.
    23 . Februar 2004  Seit Freitagabend (dem 19 .) in Budapest. Gedrängtes Programm, Ärzte, Steuerzahlungen usw. Gestern, am Sonntag, bei Ligeti in Wien. Er hat sich einen Bart wachsen lassen und ähnelt damit, wie M. treffend bemerkte, völlig dem
Verrückten von Syrakus
auf dem István-Farkas-Gemälde. Zugleich gibt es an ihm etwas Olympisches, an Zeus Erinnerndes. Er war mild und hielt uns eine Weile gut aus. Er wollte Witze von uns hören. Seit er
Liquidation
als zweitrangigen Lajos-Zilahy-Roman eingestuft hat, nimmt er mich geistig nicht mehr ganz ernst. Merkwürdig, woher er seine Autorität nimmt, und merkwürdig, daß diese Autorität von seiner Umgebung, seinen Freunden und allen anerkannt wird. Er hat das Ansehen, und niemand würde wagen, es in Frage zu stellen. Obwohl seine Werteordnung unbeständig ist und seine Urteile ganz und gar von seiner Stimmung, der Willkür des Augenblicks bestimmt werden. – Heute mittag halb zwei treffen wir uns mit Koltai, um das schon vorhandene, etwa einstündige Filmmaterial anzuschauen.
    25 . Februar 2004  Vorgestern der Film, mit M. und Koltai. Ein angenehmer Nachmittag. Der Film selbst? Ich glaube, zu mehr ist K. nicht in der Lage, und es ist nicht wenig, wozu er in der Lage ist. Es handelt sich nicht um eine echte filmische Adaption, eine Umdichtung, und hat dennoch nicht kommerziellen Charakter – oder sagen wir: ist auffallend anspruchsvoller Kommerz. Da es um Film geht, bedeutet diese Qualifikation redliche Arbeit. – Gestern dann die Arbeit mit Zoli Hafner; sehr ermüdend. Hinterher Abendessen in einem Lokal namens Mágnáskert, mit «jüdischen Geschäftsleuten», wie es hieß. Abermals die Rolle: Was könnte man gegen den Antisemitismus, für ein normales Zusammenleben tun? Wenn ich das wüßte. Dennoch erwarteten sie von mir eine Erklärung, als hätte der Nobelpreis

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