Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
zugleich einen Propheten aus mir gemacht, der das Geheimnis des erlösenden Wortes in sich trägt. Wieder das Fremdheitsgefühl, der peinliche Anschein, als ob ich etwas wüßte; reines Repräsentieren, Zeitvertun.
28 . Februar 2004 5 Uhr 24 , Morgendämmerung. Das Ende meines Budapester Aufenthaltes rückt näher. Gemischte Eindrücke. Keine geistige Tätigkeit: Die Zeit erlaubte es einfach nicht. Vorgestern Theater (Spirós Komödie
Koccanás
). Administratives (Steuerberechnung, Einzahlungsermächtigung); Ärzte (Urologe, Zahnarzt), frustrierendes Ausfüllen alberner Bögen. Ständige Müdigkeit. Schauplatzbesichtigung mit Koltai: Buchenwald-Kulisse, Zeitz-Kulisse, letztere dem Original erschütternd ähnlich, so sehr, daß sie unangenehme Reminiszenzen weckte. Die Dreharbeiten stagnieren, aus materiellen Gründen: Das für den Fortgang nötige Geld ist einfach ausgegangen, angeblich hat es der Produzent beiseite geschafft. Wieder wurde mir die vorteilhafte Situation des Schriftstellers bewußt: Zum Schreiben braucht man nur Papier – bzw. (ich) einen Laptop – und Bleistift (Druckerpapier für den Laptop). – Heute und morgen Arbeit mit Hafner. Gestern Abendessen bei den Kindern; mein Verhältnis zur «Familie» bessert sich, ich beginne mich abzufinden: Es sind letzten Endes nette Wesen, ein wenig stört, daß ich sie «fertig» bekam, nicht teilhatte an ihrem Werden, der Ausrichtung ihres Schicksals. Abends im Kempinski Kőbányai, dieser merkwürdige, ich könnte auch sagen außergewöhnliche, aber anstrengende Mensch, der sich wie ein wahrhaft Besessener auf meine «Erfolgsgeschichte» als Nobelpreisträger gestürzt hat; ich versuchte, ihn zu mäßigen und dazu zu bringen, daß er, wenn er mich schon zitiert, doch genau sein möge – mit solchen Dingen verbringe ich meine Zeit. Er erzählte, daß ich in Israel einen richtigen Leser-«Klub» habe, wo meine Arbeiten regelmäßig gelesen und interpretiert werden. (
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…)
2 . März 2004 Morgens Dreiviertel sechs. Seit gestern abend wieder in Berlin. Erschöpfung als permanenter Seinszustand. Ein ziemlich buntes Leben in Budapest liegt hinter uns; am letzten Abend Theater, Vörösmartys
Czilley
, in der Bearbeitung von Spiró. Nach der Vorstellung im Buffet im sechsten Stock des Nationaltheaters. Viele Bekannte, Schauspieler, die auch im Film mitspielen. Große Ehrerbietung umfängt mich, ich fühle mich ununterbrochen wie der Papst zu Ostern. Dann die Ankunft in Berlin, sofort läutete das Telefon; es war Kenedi mit der Nachricht, daß etwas über mich in der
FAZ
erschienen sei. M. und ich aßen bei Diekmann zu Abend, danach spazierten wir ins Kempinski hinüber, um in die
FAZ
zu schauen. Ein Artikel im Feuilleton ließ durchsickern, daß der Rowohlt Verlag meine Autorenrechte an Suhrkamp abgeben werde, der ihnen im Austausch Martin Walser überlasse. Ist es möglich, dich wie einen Fußballer zu verkaufen, fragte M. verwundert. Sicher, das ist möglich. Als wir das Fax-Gerät aufklappten, kam ein Artikel der
Frankfurter Rundschau
zum Vorschein, der die gleiche Frage erörtert; Ina Hartwigs fast verrückt zu nennender Artikel, wonach nicht Grass und – vor allem – nicht Walser die Anwälte der Deutschen seien, sondern ich, siehe meine Magdeburger Rede zum Tag der Deutschen Einheit. M. und ich lachten schließlich herzhaft. In eine noch absurdere Situation kann ich wohl kaum kommen. Andererseits ist es keine sehr tröstliche Aussicht, daß meine Rechte bei einem Verlag mit Abwärtstrend sein würden. Doch wenigstens wären sie beisammen, und letztlich, stellten wir fest, führen diese Werke bereits ein eigenes, selbständiges Leben, das nicht davon beeinflußt wird, bei welchem Verlag sie sind. (Zu alledem noch Weiss’ schwärmerischer Brief: welche Freude es sei, daß ich nun zu den Suhrkampautoren zählte! Ich weiß gar nicht, was ich antworten soll; ich glaube, nichts.)
4 . März 2004 Ein Uhr nachts. Die bedrückenden Nachrichten über die Verlagsrechte haben sich als Zeitungsbluff erwiesen. Keiner der Verlage plant, meine Rechte zu verkaufen bzw. zu kaufen. – Außerordentlich chaotische, anstrengende, blöde Tage, obendrein schleppt die arme M. eine häßliche Erkältung mit sich herum. Gestern das Interview für
Le Monde
, morgen, bzw. heute, das für
Le Figaro
. Und gestern abend die Lesung im Berliner Ensemble. Hinterher hatte ich ein schlechtes Gefühl, weil ich mich nicht den Freunden widmen konnte, die zu der
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